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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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du bei Canard Chronique gelandet?« fragte Ardala später.
    »Canards Chronique«, verbesserte er. Sie lagen ausgestreckt im Bett. Ardala lag auf dem Bauch; sie hatte sich auf die Ellbogen gestützt, während sie die Guys-Ausgabe von dieser Woche las und sich Notizen machte. Er las etwas von dem Schulungsmaterial, das sie mitgebracht hatte. »Es hat eine Doppelbedeutung, entweder ›Ewige Enten‹ oder ›Ständige Streiche‹. Was eine Menge mit ihrer Ethik zu tun hatte.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Wie ich reingekommen bin? Ist alles die Schuld meiner afrikanischen Großmutter.«
    »Laß mich nicht zappeln, Steward«, sagte Ardala.
    Er steckte einen Merker in das Buch und legte es weg. »Okay. Meine afrikanische Großmutter ist in Kanada aufgewachsen und hat sich in das kalte Klima verliebt. Deshalb wurde sie Arktis-Geologin. Dann verliebte sie sich in diesen Schotten, den sie in Novaja Semlja kennengelernt hatte und der ebenfalls in die Arktis verliebt war, und so weiter. Ihr zweiter Sohn haßte Schnee und Dauerfrost, weil er als Kind nichts anderes sah, deshalb zog er ans Mittelmeer, wo er meine Mutter heiratete, die aus Marseille kam. Er hatte einen guten Job in Nizza, wo er als fest angestellter Ökonom für Fernes Juwel arbeitete, während meine Mutter zur Schule ging.« Steward sah stirnrunzelnd die Wand gegenüber an. Er versuchte sich zu entschließen, welche Haltung er einnehmen, welche Persönlichkeit er dafür benutzen sollte. »Er ist während Petit Galop ums Leben gekommen«, sagte er.
    »Ich hab' davon gehört.«
    Davon gehört, dachte Steward: von Europas Absturz in die Anarchie infolge eines gescheiterten Versuchs, sein Sozialgefüge nach den Richtlinien umzumodeln, die von einer im Raum lebenden Polikorp vorgeschlagen worden waren. Auf der Erde gab es mehr Menschen als bei den Polikorps und nicht so fragile ökologische Systeme; manchmal führten die Polikorps am unteren Ende des Schwerkraftschachts Programme durch, um zu sehen, ob sie funktionierten, bevor sie sich der Mühe unterzogen, sich nach ähnlichen Mustern umzustrukturieren. Die Möglichkeiten, die in dieser Herumpfuscherei lagen, waren einer der Gründe, warum die Polikorps sich überhaupt mit der Erde abgaben.
    Aber die Sache war schiefgegangen. Europa war fragiler gewesen, als irgend jemand geahnt hatte, und die Menschen – Polikorp-Leute, Bürger und eine Menge vermutlich Unschuldiger – hatten allesamt die Strafe bezahlt.
    Steward fragte sich, wie er Ardala davon erzählen sollte. Ein Canard würde bloß die Achseln zucken. Jeder in Marseille war schlimm betroffen; jeder hatte einen Vater oder eine Mutter, die tot waren, eine Schwester oder einen Bruder oder zumindest einen Onkel oder eine Tante. Einer Amerikanerin würde diese Haltung aber wahrscheinlich gefühllos erscheinen. Steward beschloß, es ihr einfach geradeheraus zu erzählen. »Es war schlimm, besonders unten im Süden. Manche der Aufständischen waren oben auf den hohen Ökodromen der Polikorps und warfen große Plattenglasfenster auf die Leute drunten. Die explodieren wie Granaten, weißt du? So ist mein Vater gestorben, er und ein paar tausend andere, alle an einem Nachmittag. Es ist ohnehin unwahrscheinlich, daß er überlebt hätte – er hatte biologische Implantate, eine für die Arbeit an Mikroschaltungen modifizierte Hand und Kopfbuchsen für ein DNS-Computer-Interface. Das Fassungsvermögen seines Schädels war nicht vergrößert, und er hatte auch kein Extra-Hirngewebe, aber er hatte sich den Superlader für eine Hirnerweiterung in den Hals machen lassen. Keiner mit einer solchen Hardware wäre an den Metalldetektoren der Banden vorbeigekommen. Sie wären alle vor einem Exekutionskommando gelandet.«
    »Jesus. Hier lassen sich die Leute seit hundert Jahren Implantate machen. Was war daran so schlimm?«
    Diesmal konnte Steward das Achselzucken nicht verhindern. »Es gehörte zum Programm von Fernem Juwel, deshalb war es schlimm. Die modifizierten Leute waren die einzigen, die der Mob finden konnte … die Entscheidungsträger lebten im Asteroidengürtel und waren außer Reichweite. Die Einrichtungen von Fernem Juwel in Frankreich wurden so plötzlich zerstört, daß es keine Arbeit mehr für all ihre Leute oder ihre Überlebenden gab. Sobald es schiefging, gab Fernes Juwel das ganze Experiment auf. Die französische Regierung wurde nach Portugal verjagt, so daß es für Leute wie meine Mutter und mich keine Hilfe gab. Am Ende zogen wir nach

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