Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
Vom Netzwerk:
Motorroller mit Brennstoffzelle durch die Gegend. Das übliche Gaunerzeug.«
    Seltsam, wenn er daran dachte, daß das vor zwanzig Jahren gewesen war. In seinem Gedächtnis war es noch nicht so lange her. Eine Vergangenheit, die noch nicht einmal verschwommen war.
    »Mist! Verdammtes Scheißding!« Die Xanadu hatte ihr die Finger verbrannt. Sie drückte sie zu schnell im Aschenbecher aus und schüttete Asche aufs Bett. Dann lag sie fluchend auf Händen und Knien, beugte sich herüber und wischte die Asche vom Bett auf den Boden. Steward beobachtete, wie sich die Wirbelsäule in ihrem geschmeidigen Rücken bog, wie sich ihre Pobacken bewegten, als sie ihr Gewicht verlagerte, wobei sich die Muskeln in jedem Schenkel abwechselnd spannten, ein Spiel von Schatten und Bewegung.
    Er erinnerte sich an Natalie, an die Art, wie sie sich bewegt hatte, so selbstsicher und anmutig, erinnerte sich daran, wie sie immer zwischen die Decken geglitten war, als wären es die Arme eines Liebhabers … Zum Teufel, dachte er, wenn ich so schlau gewesen wäre, wie ich zu sein glaube, hätte ich sie nicht verloren. Dummheit ist etwas, womit man zu leben lernt, genauso wie mit allem anderen.
     
    Morgens, der nächste Tag. Steward saß im FREUNDL CHST REST RANT und beschäftigte sich mit seiner zweiten Tasse Kaffee. Er glaubte spüren zu können, wie das Koffein durch seinen Körper zog und erst ein System und dann ein anderes anschaltete. Kleine Stücke seines Bewußtseins wachten von neuem auf, gingen blinkend an wie eine Reihe kleiner grüner Verkehrsampeln, die GEHEN sagten. Eine halb aufgegessene Kuchenrolle lag auf einem Teller vor ihm. Um ihn herum hingen die Coffee Shop-Besucher des mittleren Morgens faul über Scan-Blätter-Ausdrucken, lasen die Neuigkeiten, gähnten und streckten sich.
    Steward hob die Hand, um der Kellnerin ein Zeichen zu geben, daß er noch eine Tasse Kaffee haben wollte, sah eine Silhouette einen entfernten Gang zwischen dem Standort der Kellnerin und seiner Fensternische entlanggehen, und plötzlich gingen die Lichter in der kleinen Reihe grüner Ampeln in seinem Kopf in heißer Synchronität an und aus, grün, gelb – rot! Seine Nerven brannten. Er drehte sich auf seinem Platz um und beobachtete den Mann, als er durch den Gang lief und in einer Ecknische Platz nahm, gefolgt von der Kellnerin mit einer Kaffeekanne. Steward verrenkte sich den Hals, um das Gesicht des Mannes sehen zu können. Die Kellnerin stand im Weg und schenkte Kaffee ein. Steward kam sich töricht vor. Ein Fremder in einem abgelegenen Coffee Shop, eine zufällige Ähnlichkeit, und schon begann er Gespenster zu sehen.
    Die Kellnerin ging aus dem Weg. Steward sah sich das Gesicht des Mannes an und merkte, wie sein Mund trocken wurde. Er drehte sich um, trank seinen Kaffee mit einem hastigen Schluck aus und stand auf. Er schwankte. Er schien ein wenig aus dem Gleichgewicht zu sein. Er ging durch den langen Gang und sah, wie das Gesicht des Mannes immer näherrückte. Nerven zuckten in Stewards Händen und seinen Beinen.
    Der Mann schaute auf, als er seine Kaffeetasse hob. Er war ein dunkelhäutiger Europäer mit mittellangem Haar und sauberer Kleidung: Er trug einen dunklen, kurzärmeligen Anzug über einem kragenlosen, hellblauen Hemd. Seine Arme waren dünn und drahtig. Seine Haut war über Knochen gespanntes Pergament, festgebunden von den blauen Schnüren der Adern. Er hatte einen ergrauenden Schnurrbart, der ungewohnt war. Steward verspürte einen Anflug von Unsicherheit. Er hatte einen anderen Mann in seinem Gedächtnis, jünger, muskulös, lächelnd. Dann sah er einen weißen Fleck auf einem Bizeps, wo eine Tätowierung entfernt worden war, und die Unsicherheit wich.
    Er merkte, daß er am Rande von irgend etwas entlangschwankte, als ob der Boden unter ihm im Begriff stünde, zu zerfließen und ihn an einen neuen Ort zu versetzen, wo nichts sicher war, wo andere Regeln galten, die er lernen mußte, indem er handelte.
    »Griffith«, sagte Steward.
    Die Kaffeetasse blieb auf halbem Wege zum Mund des Mannes in der Luft stehen. Seine feuchten Augen glitzerten, umringt von dunklen Linien. Neue Augen. Geisteraugen.
    »Steward«, murmelte er, anscheinend wie zu sich selbst. Er setzte die Tasse ab, ohne den Blick von ihm zu wenden. Seine Stimme war rauh und heiser. Steward erinnerte sich daran, wie er gesungen hatte, eine Baritonstimme, die von den Metallwänden in Stewards Wohnung im Orbitalkomplex Mars von Kohärentem Licht widerhallte. Die

Weitere Kostenlose Bücher