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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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schmieden«, sagte Bruder Sebastian. »Kannst du vielleicht ein Instrument spielen? Purzelbäume und Brücken schlagen?« Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Aha! Ich hab's! Du kannst Sachen verkaufen! Diese Unschuldsmiene – diese tumben, ehrlichen Augen (Verzeihung, aber wahr bleibt wahr, oder?) – ja, das ist genau das Richtige! Margaret, du bist die geborene Marktfrau.«
    »Aber ich habe doch gar nichts zu verkaufen«, begehrte ich auf.
    »Immer mit der Ruhe. Mein Kleinod, meine kluge Hilde stellt Kräutertees für uns her – und ihre berühmte Brandsalbe beispielsweise.«
    »Doch nicht etwa dieses stinkige Zeug aus Gänseschmalz und Talg?«
    »Genau das. Richtig verpackt, dank meiner Fähigkeiten auf diesem Gebiet, und von einem solch bezaubernden Kind wie dir verkauft, dürfte sie ein Renner werden. Ich glaube, ich nenne sie – hmm – einen seltenen Balsam aus – aus – Arabien. Ja, das paßt gut. Arabien. Wahrhaftig, das klingt hübsch.«
    »Arabien, äh?« fiel Parvus Willielmus ein, was eigentlich nur der Kleine William hieß, aber in der Öffentlichkeit schmückte er sich gern mit lateinischen Federn. »Ich kenne da einen sehr guten Witz über einen Wandermönch, der nach Arabien reiste und in den Harem des Sultans kam, weil er sich als –«
    »Genug!« Bruder Sebastian hob die Hand. »Wie oft muß ich euch noch sagen, daß eure vulgären Späße meine zarten Empfindungen verletzen. Habt ihr denn keine Achtung vor dem geistlichen Stand?«
    »Ach, hör doch auf, dem Abt von St. Dunstan hat das letzte Michaelis recht gut gefallen. Natürlich hatte der einen in der Krone, und ich hatte aus dem Mönch einen Dominikaner gemacht.«
    »Ihr erzählt also derlei abscheuliche Witze in einem Kloster?« entschlüpfte es mir.
    »Natürlich. Auch Mönche wollen lachen. Ein paar zumindest. Sie tun so, als ob die Vorführung für ihre Pächter ist, aber sie nehmen auch teil. Einige dieser Abteien sind sehr streng, aber nicht viele. Flagellanten und Eremiten, naja, die finden rein gar nichts lustig.«
    »Aber Ihr sagt so furchtbare Sachen. Ihr macht Euch über Hochgestellte lustig. Ihr ahmt sie in Euren Dialogen nach. Früher oder später landet Ihr noch im Stock.«
    »Im Stock? Der ist für gewöhnliche Sterbliche«, sagte der Kleine William. »Für einen Schenkenbesitzer etwa, der einen Ratsherren beleidigt, oder für einen Bauern, der den Sheriff schlechtgemacht hat. Wir fahrenden Sänger werden nie bestraft, was wir auch immer sagen. Das kommt daher, daß wir bereits verdammt sind; das jedenfalls behauptet die Kirche. Darum lachen sie immer und lassen uns laufen. Hm – fast immer. Unser Robert hier hatte einen Freund, der dem König zu frech kam, und der ließ ihm die Augen ausstechen. Aber ich? Ich habe Herzöge, Grafen und Bischöfe beleidigt – ach, wen eigentlich nicht? Und bin immer noch da!«
    »Ist er nicht ein Fürst unter den Spielleuten, unser Kleiner William hier?« singsangte Bruder Sebastian. »So, das wäre abgemacht, was, Margaret?« setzte er hinzu. »Du begleitest mein gerade entdecktes, strahlenäugiges Kleinod –« (an dieser Stelle lächelte Hilde dümmlich) » – wie auch diese munteren Kumpane hier nach London –« (er machte eine umfassende Handbewegung) » – und machst dein Glück!« Erstaunlich, wie gefühlsduselig Leute werden, wenn sie verliebt sind. Hilde befand sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium. Aber wenn ich mir überlegte, welche Möglichkeiten mir sonst offenstanden, so waren die noch unangenehmer, als mit diesen Leuten nach London zu ziehen.
    »Also abgemacht«, sagte ich. Alle jubelten und fielen mir um den Hals, was mich sehr verlegen machte. Aber mir saß noch etwas verquer, und so fragte ich:
    »Eine Sache ist mir immer noch nicht klar. Wenn Ihr niemals in Navarra gewesen seid, woher stammen dann die ganzen Neuigkeiten aus dem Ausland?«
    »Aus dem Untergrund, Margaret«, antwortete Maistre Robert. »Die Verbreitung von Nachrichten gehört zum Gewerbe des fahrenden Sängers, und wir kommen ja auch überall hin. Wenn wir uns also begegnen, tauschen wir Geschichten aus. Was wir nicht wissen, erfinden wir. Sünden von ausländischen Königen, schmachtende, ausländische Liebhaber, na, du weißt schon. Das mag jeder, man muß nur die Namen auswechseln.« Maistre Robert sah mich an, als ob er nicht glauben mochte, daß ich derart einfältig war.
    »Wollt Ihr damit sagen, daß die ganzen Sachen, die Lady Blanche so gefallen –?«
    »Du kleine Hinterwäldlerin,

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