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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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herumsaßen, »denkt immer daran, daß die Kehrseite der Katastrophe die Gunst der Stunde ist. Betrachtet es einmal unter diesem Gesichtspunkt: Wenn eine Stadt abbrennt, muß man Leute dafür bezahlen, daß sie dieselbe wieder aufbauen; ist das Wasser vergiftet, ist gutes Geld mit dem Verkauf von Wein zu verdienen; und wenn die Pest zuschlägt, ist man eher geneigt, Arzneien zu kaufen, ebenso wie Rückversicherungen für die Seele.« (Und hier klopfte er auf seine Tasche.) »Wer dieses Prinzip durchschaut, grämt sich nie, sondern macht gute Geschäfte. Das ist der Lauf der Welt. Alles im Leben hat seine zwei Seiten, auch die Katastrophe.«
    »Ach, Bruder Sebastian, es ist doch immer ein Genuß, der feinsinnigen Unterhaltung eines Philosophen zu lauschen«, seufzte Mutter Hilde entzückt.
    »Philosoph? Ich kenne da einen guten über einen Philosophen«, sagte Tom le Pyper, der Knochige. Wenn der Kleine William sich ein Kopftuch umband und die Frau in ›Der habgierige Prälat‹ spielte, dann war Tom der gehörnte Ehemann und Robert der gerissene Priester. »Es gab da einmal einen alten, häßlichen Philosophen, der dem Teufel seine Seele für Jugend und gutes Aussehen verkaufte, denn er wollte ein hübsches, kleines Mägdelein verführen, welches nebenan wohnte, und der –«
    »Halt! Den haben wir alle schon gehört, und er geht böse aus –« wehrte Bruder Sebastian ab.
    »Nur für den Philosophen«, grinste Tom.
    »Schlimm genug, wenn du mich fragst«, gab Bruder Sebastian leichthin zurück. »Ich erzähle euch lieber von einem fahrenden Sänger, der starb und geradewegs zur Hölle fuhr, wie es das Los all dieser Burschen ist. Er war ein so gemeiner Kerl, daß der Teufel ihm anläßlich einer Geschäftsreise zur Erde die Aufsicht über das Höllentor anvertraute. Was soll ich sagen, ihr kennt ja fahrende Sänger – lange hält die nichts bei der Stange. Als also der Heilige Petrus zu einem anständigen Würfelspiel auf Besuch kam, da zögerte der fahrende Sänger keinen Augenblick. Zuerst setzte er seine Laute und verlor sie. Dann setzte er seine Unterhose, ›denn hier ist es ohne sie eh warm genug‹ sagte er – und der Heilige Petrus gewann auch die. Da er nun nichts mehr zu setzen hatte und auch nicht aufhören konnte (zugegebenermaßen eine weitere Eigenart der fahrenden Sänger), setzte er ein paar Seelen hinter dem Höllentor. Geschickt, wie fahrende Sänger nun mal sind, verlor er. Sie spielten den ganzen Nachmittag, bis die Hölle halbleer war. Als der Teufel zurückkam und sah, was geschehen war, da stampfte wütend er mit dem Pferdefuß auf. ›Hier kommt mir nie wieder ein fahrender Sänger rein!‹ schwor er, und so ist das bis auf den heutigen Tag. Fahrende Sänger sind weder hier noch da willkommen.« Wir mußten herzlich lachen.
    »Ho, Bruder Sebastian, falls du mal fahrender Sänger werden möchtest, dann gib uns Bescheid, denn du bist ein begabter Geschichtenerzähler«, lachte Master Robert.
    »Wenn ich auf Zehenspitzen balancieren und dazu den Dudelsack blasen kann, ist es eine Überlegung wert«, sagte Bruder Sebastian und tat so als hohnlachte er. Das Bild von Bruder Sebastian mit seiner rundlichen Gestalt, der balancierte wie ein Akrobat, brachte alle schon wieder zum Lachen.
    In Abingdon, wo wir haltmachten, hatten wir einen sehr guten Tag, doch am zweiten hatte sich Master Robert die Stadt gut angesehen und änderte ›Der habgierige Prälat‹ ab. Er übernahm die Rolle des gehörnten Ehemannes und spielte ihn genau so gespreizt, wie sich der Bürgermeister dieser Stadt gebarte. Alle Anwesenden bogen sich vor Lachen, und wir sammelten weit mehr Geld ein als sonst. Der nächste Morgen brach hell und klar an, und wir zogen fröhlich zum Stadttor hinaus; wir lachten, als Master Robert eine erstaunliche Klatschgeschichte über die Bürgermeistersfrau zum Besten gab, die er in der Schenke aufgeschnappt hatte. Doch wer zuviel lacht, paßt nicht auf; zu spät hörten wir das wilde Hufgeklapper, das uns auf der Straße nachsetzte. Ehe wir wußten, wie uns geschah, waren wir von einem Trupp Berittener umringt, und als wir mit großen Augen dastanden und uns fragten, was das zu bedeuten haben mochte, zeigte der Anführer wortlos mit der Pferdepeitsche auf Maistre Robert und winkte seinen Henkersknechten. Während die anderen uns mit der Schwertspitze in Schach hielten, stiegen zwei von ihnen ab und ergriffen Master Robert bei den Armen. Dann stieg auch der Anführer ab und schlenderte zu Master

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