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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Empfängnis, mühte sich eine merkwürdig aussehende Reisegesellschaft durchs Dorf und bat um Einlaß am Burgtor und um Gastfreundschaft auf der Burg. Ich lehnte mich gerade oben aus einem Fenster und sah sie den Burghof überqueren. Es schneite leise vor sich hin, und die Flocken blieben auf ihren Umhängen und dem Gepäck als weiße Tupfen liegen. Voran schritten drei Männer, die sich die eingehüllten Instrumente über den Rücken geworfen hatten; sie führten zwei schwer beladene Esel und vier kleine Hunde mit sich. Ihnen folgten ein paar Leute, die sich der Gruppe angeschlossen hatten, um nicht allein und daher auch sicherer zu reisen: ein Ablaßkrämer mit seinem seltsamen Hut, den Umhang mit Pilgermuscheln benäht und das Bündel auf dem Rücken, dazu ein berittener Kaufmann und seine Gefolgsleute mit ihren Packmaultieren.
    Ich war jetzt mehr um Lady Blanche als üblich, denn sie meinte, daß mein Handauflegen die anfallsweisen, schweren Blutungen stillte, von denen sie nach der gefahrvollen Entbindung heimgesucht wurde. Als ich ihr erzählte, was ich gesehen hatte, schickte sie mich auf Erkundigungsgang, ich sollte ihr haarklein berichten, denn sie war noch immer bettlägrig.
    In der Halle, wo Sir Raymond Bittsteller empfing und Pächter bestrafte, trat der Anführer der kleinen Gruppe vor, verneigte sich außergewöhnlich tief und übergab ein Einführungsschreiben. Es war Maistre Robert le Tambourer, Musikant des Königs von Navarra persönlich, und die beiden anderen gehörten zu ihm. Bei dem zu seiner Rechten, und damit machte er eine umfassende Handbewegung zu einer langen, knochigen Gestalt im Narrengewand hin, handelte es sich um Tom le Pyper, auch als der Lange Tom bekannt. Während der Lange Tom sich verbeugte, stellte Maistre Robert den kleinen, behenden Mann zu seiner Linken großspurig als den berühmten Parvus Willielmus, den Meister des Frohsinns vor. Sir Raymond rief seinen Kaplan, daß er ihm den Brief vorlas, bei welchem es sich um eine sehr blumige Lobpreisung der außerordentlichen musikalischen Fähigkeiten der Gruppe handelte und der um gastliche Aufnahme im Namen des Königs bei allen großen Herren bat, an welche sie sich wenden mochten. Vater Denys war beeindruckt. Er hob die Brauen und zeigte Sir Raymond das Dokument, welches dieser aber nur glasig anstarrte.
    »Der König von Navarra, äh?« sagte er und beäugte es. »Ist das sein Siegel? Was ist das für ein rosa Fleck da?«
    »Wein, Mylord, leider. Wir Musikanten müssen zuweilen an seltsamen Orten nächtigen, wenn wir auf Wanderschaft sind«, antwortete Maistre Robert.
    »Lasterhöhlen, hmm? Gut, Ihr sollt hier Obdach finden, ihr seid willkommen. Die Musikanten eines Königs! Glück gehabt! Was für Neuigkeiten bringt Ihr uns aus Frankreich?«
    Maistre Robert wußte mit Neuigkeiten aus dem Ausland und auch mit ein paar interessanten Geschehnissen in England aufzuwarten. Als Zugabe gab er noch ein paar Skandalgeschichten zum Besten, und als er sah, daß Sir Raymonds aufmerkte, da wußte er genau, wie er ihn anfassen mußte. Als Sir Raymond dann eine Probe seiner Fertigkeiten forderte, winkte er den Langen Tom und Parvus Willielmus zu. Der Lange Tom holte eine Trommel hervor, und die dröhnte so aufreizend, daß alle in der Halle aufmerksam wurden. Durch den Türspalt lugten Gesichter. Während die Trommel dröhnte, jonglierte der Kleinere erst mit drei, vier und dann mit fünf Bällen. Alsdann ließ Maistre Robert seine Geschichten los, und die beiden hörten mit Trommeln und Jonglieren auf und fielen ein. Es handelte sich um eine Unterhaltung, die aus einer flinken Aneinanderreihung außergewöhnlich unflätiger Geschichten bestand. Gelächter brauste durch die Halle. Sir Raymond mußte so lachen, daß er knallrot anlief und wollte schier ersticken.
    »In Ordnung, Master Robert, wenn Ihr so gut musiziert wie Ihr redet, dann sehen wir fürwahr ein paar lustigen Abenden entgegen.« Die Lachtränen liefen ihm immer noch übers Gesicht.
    »Hol mir diese Spielleute herauf«, sagte Lady Blanche zu mir, »ich möchte die Neuigkeiten auch hören.« Sie hatte sich zu ihrem Empfang im Bett aufgesetzt und fragte sie nach dem Hofleben im Ausland aus, welche Kleidung man trüge, und was dergleichen mehr ist. Danach holte Master Robert seine Handharfe hervor und sang ein Lied auf ihre Schönheit, welche, wie er sagte, in aller Munde sei.
    »Ach, wirklich? Ich bin doch hier auf dem Lande begraben gewesen. Ich wußte gar nicht, daß meine

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