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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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fast all unsere Lieder und auch ein Teil unserer Neuigkeiten gleichen den Ablaßbriefen unseres Padre da. Sie haben eine freie Stelle, wo wir je nachdem den Namen einsetzen – dann schwarze Augen anstatt blaue, Spanien statt Frankreich, diesen Helden für jenen. Das hebt das Geschäft.«
    Irgendwie ist es immer eine Enttäuschung, wenn man erfährt, wie etwas in Wirklichkeit gemacht wird. Die Illusion erscheint soviel hübscher, wenn man nicht Bescheid weiß. Aber auf eines verstanden sie sich ohne Zweifel, nämlich wie man sich angenehm macht. Sie blieben, bis das Wetter umschlug und man sich getrost wieder auf Wanderschaft begeben konnte. Sir Raymond wollte sie nicht ziehen lassen, ehe er nicht ihren ganzen Witzevorrat mehrere Male gehört hatte, und Lady Blanche hielt uns fest, bis es ihr besser ging – eine Genesung, die Maistre Robert mit Augenrollen und schmeichelhaften Liedern beschleunigte.
    Wir nahmen Abschied und zogen bei leichtem Frühlingsregen gut entlohnt durch das Haupttor, über die Zugbrücke und dann die aufgeweichte Landstraße entlang. Unser nächstes Ziel war Bedford, eine kleine Stadt mit einer anständigen Herberge und einer gelangweilten Bevölkerung. Unsere Aussichten erschienen uns rosig.
    Wenn ich mir eingebildet hatte, wir würden geradewegs nach London gehen, um dort unser Glück zu machen, so wurde ich schon bald eines Besseren belehrt, denn wir machten außerordentlich viele Umwege, zogen zunächst durch die Midlands und dann nach Süden. Städte, Abteien und Burgen, alle öffneten uns ihre Tore. Besonders willkommen waren wir an Festtagen, denn wie hoch und heilig sie auch immer sein mögen, die Menschen wollen nun einmal ihren Spaß haben. An jedem Ort begannen wir auf die gleiche Weise: die Trommel lockte die Leute an, das Jonglieren hielt sie bei der Stange, und dann fingen wir mit den komischen Sachen an – Witze und Geschichten, welche wir an den spannendsten Stellen unterbrachen, um kleine Münzen einzusammeln, darunter leider viele, die arg mitgenommen waren. Die Hunde sprangen durch Reifen, gingen auf den Hinterpfoten und erbettelten Geld, wobei sie sich hinterher immer verbeugten. Handelte es sich um eine Schenke, dann war danach Peter an der Reihe mit Weissagen. Er verdiente besser als Mutter Hilde, und die verdiente besser als ich, denn mir dämmerte schon bald, daß ich nicht zur Marktfrau taugte und keinen Penny einnehmen würde.
    Bruder Sebastian baute seinen Stand gesondert von uns auf, weil er seiner Arbeit einen heiligen Anstrich geben mußte und sich allerhand Entschuldigungen hätte einfallen lassen müssen, warum er in unserer Gesellschaft reiste. Seine Geschäfte liefen in der Fastenzeit, vor Ostern besonders gut. Auf der Landstraße war jetzt viel Betrieb, denn so mancher wird zur Strafe für seine Sünden auf eine Pilgerreise geschickt. So ist die Heimat solche Menschen zwar ein Weilchen los, doch das Reisen gewinnt dadurch nicht gerade. Einmal begegneten wir einem Mann im Unterhemd, der ein großes Kreuz schleppte. Er war dabei, das Land für immer zu verlassen, denn er hatte im Streit um eine Frau einen Mann erschlagen. Als seine Freistatt in der Pfarrkirche abgelaufen war, hatte er ziehen müssen. Er schien sich nach munterer Gesellschaft zu sehnen, und als er die Stadt weit genug hinter sich gelassen hatte, warf er das Kreuz in den Graben und schloß sich den dortigen Geächteten an.
    Die Lustpilger, wie ich sie einmal nennen möchte, warten besseres Wetter ab, ehe sie sich auf die Wanderschaft begeben. Jetzt blühen die Geschäfte der fahrenden Sänger, denn derlei Pilgergruppen haben auf Reisen gern Unterhaltung und bezahlen auch dafür. Wenn das Wetter gut ist, kann man außerdem noch das Lager unter freiem Himmel aufschlagen und sich das bezahlte Nachtlager in der Herberge sparen. Legt man die Route richtig, so kann man auf der ganzen Reise Geld verdienen, indem man von Sommermarkt zu Sommermarkt zieht. Aber Master Robert klagte, daß man sich jetzt schwerer täte als vor der Pest, da so viele Dörfer entlang unseres Weges halb oder ganz entvölkert waren. Etliche, einst bewohnte Ortschaften, waren erneut zur Wildnis geworden. Wölfe wagten sich wieder an die Städte in der Nähe von Wäldern heran, da hieß es, sehr vorsichtig sein. Und manch eine Menschenseele, von der sich meine Freunde gastliche Aufnahme und ein gutes Mahl erhofft hatten, war gestorben.
    »Aber«, so sagte Bruder Sebastian, als wir an einem sternklaren Abend um das offene Feuer

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