Die Stimme
er tat so, als wollte er mir mit dem Finger drohen.
Und ob wir in die Tinte gerieten! Vielleicht kann man zuweilen gar nicht leichtfüßig genug sein. Jedenfalls hatten wir uns an jenem Abend kaum in unsere Decken eingewickelt, als wir auch schon rüde hochgeschreckt wurden; man fragte nach unseren Wertsachen. Wir setzten uns alle auf und sahen im hellen Mondenschein, daß wir von einen Dutzend übel aussehender, mit Langbögen bewaffneter Männer umringt waren. Master Robert, einer der kaltblütigsten Menschen, den ich meiner Lebtage gesehen habe, befreite sich aus seiner Decke und verneigte sich, wie um seine Spielleute einzuführen.
»Erlaubt, daß ich mich vorstelle. Ich bin Maistre Robert le Tambourer, und diese guten Leutchen da sind meine Spielleute. Viel Lieder und ein frohgemutes Herz könnt Ihr bei uns erwarten, doch leider keine weltlichen Güter.« Er machte eine umfassende Handbewegung. Sein Mantel hing ihm in Fetzen von den Schultern; wir hatten alle in den Kleidern geschlafen.
»Mein Gott. Blöde fahrende Sänger. Ein zerlumpteres Pack ist mir kaum untergekommen«, sagte einer, welcher der Anführer der Bande zu sein schien.
»Schneiden wir ihnen einfach die Kehle durch. Lösegeld schlägt man aus denen nicht heraus«, schlug ein anderer vor.
»Einen Augenblick – sie haben ein Mädchen dabei. Die will ich zuerst haben. Danach können wir ihnen die Kehle durchschneiden«, knurrte ein dritter.
»Wie kommst du darauf, daß du sie zuerst kriegst? Ich will sie zuerst.«
»Ihr kennt alle die Spielregel«, sagte der Anführer. »Zuerst ist der Hauptmann an der Reihe. Kein Gegrapsche also. Ihr kriegt sie schon noch früh genug. Schneidet den anderen einfach die Kehle durch.«
»Meine lieben Herren«, kam ihnen Master Robert dazwischen. »Ihr verpaßt eine einmalige Gelegenheit. Bedenkt, daß ich einst erster Spielmann beim König von Navarra persönlich war und nur wegen eines peinlichen Vorfalls meinen Abschied nehmen mußte, doch davon ein andermal. Wir haben Könige unterhalten, gewiß könnten wir auch dem König der Banditen königliche Kurzweil bieten.«
»Du machst mir eher den Eindruck, als könntest du nicht einmal einen Floh unterhalten, Master Schäbig.« Die anderen Räuber lachten leise und beifällig zu den Witzeleien ihres Anführers.
»Dann habt Ihr offenbar noch nie die Geschichte von dem Wandermönch und der Müllersfrau gehört.« Der Kleine William kam auf die Füße, wickelte sich die Decke wie ein Kleid um und nahm eine übertrieben weibliche Pose ein.
»O, wirklich, Hochwürden, ich trau mich nicht«, piepste er im hohen Falsett.
Master Robert setzte mechanisch mit dem geilen Mönch ein. Nie wieder habe ich ihn den besser spielen sehen. Der Lange Tom sprang auf und jagte als gehörnter Ehemann hinter ihm her. Es war so richtig schön unflätig. Die Wegelagerer mußten unwillkürlich lächeln. Dann prusteten sie vor Lachen.
»Seht Ihr?« keuchte Master Robert, während der rachsüchtige Eheherr ihn zu Boden drückte. »Wie dürftet Ihr Euren Hauptmann um solch einen Spaß bringen? Ei, erst kommt doch wohl die Kurzweil, denn mit durchschnittener Kehle singt es sich schlecht.«
»Hmm. Wohl wahr. Und mehr schlägt man ohnedies nicht aus euch heraus. Wir feiern im Lager.« Und auf ging es, alle miteinander; wir waren sehr niedergeschlagen, aber wir vertrauten auf unser Glück und Master Roberts Witz, vielleicht wandte sich ja doch noch alles zum Guten.
Warum bleiben Räuber nur immer so lange auf? Man sollte meinen, sie würden gern frühmorgens zur Arbeit gehen wie andere Leute, um mehr Geld zu verdienen. Aber nein, immer schlafen sie lange und bleiben nachts auf, zechen und erzählen Lügenmärchen. So wenigstens war das bei allen Räubern, die ich kennengelernt habe. Und darum schlief denn auch der Räuberhauptmann natürlich noch nicht. Er saß auf dem Ehrenplatz unter den Räubern, die sich um ein loderndes Feuer scharten, zechten und Lügenmärchen erzählten.
»Was ist denn das, eine neue Kurzweil?« rief ihnen der Hauptmann entgegen. »Frauen«, schrie der Mann, der unsere Gruppe anführte. »Und ein paar Spielleute, die allerlei schmutzige Witze auf Lager haben.«
»Auf dann, auf zur Kurzweil. Ich will die Hübsche da zuerst«, rief er.
»Das dachten wir uns schon, darum haben wir sie aufgespart. Aber danach wollen wir sie.«
Der Räuberhauptmann war groß und blond. Er hatte einen rötlichen Rauschebart und Hände wie Schaufeln. Eine Narbe zog sich im Zickzack
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