Die Stimme
Flickarbeit ruhte. Sie wollte nämlich Bruder Gregorys wachsende Verärgerung mitbekommen und genießen, während er zu Ende schrieb. Es gibt doch nichts Schöneres, als heimlich jemanden zu reizen, der zu jener Art von Wichtigtuerei neigt, wie sie Bruder Gregory in Sachen Religion an den Tag legte. Mittlerweile kannte Margaret ihr Opfer gut. Gerade lief sein Nacken rot an. Er drehte sich jäh um, stand auf und knurrte mit gereizter Stimme auf sie herab:
»Ich nehme an, Madame, Ihr versucht, mir weiszumachen, daß Ihr und die ›Heilige von Sturbridge‹ ein und dasselbe Geschöpf seid.«
»Ich erzähle Euch nur, was ich gesehen und gehört habe. Ich finde, man sollte sich um Genauigkeit bemühen«, erwiderte sie honigsüß.
Bruder Gregory kochte, während er mit den Händen auf dem Rücken im Zimmer auf- und ablief.
»Ihr seid ein Schandfleck durch und durch. Vermutlich seid Ihr prozentual am Reliquienhandel beteiligt.«
»O, keineswegs, das seid versichert. Natürlich habe ich Bruder Malachi später dabei ertappt, wie er Asche aus dem Kamin in Reliquiengefäße abfüllte. Er sagte, die Idee sei ihm gekommen, als er einmal sah, wie man erloschene Kohle zusammenkehrte, um sie als Heilmittel gegen Gehirnlähmung zu verkaufen. Ein Weilchen lief das sehr gut. Das war, bevor er dazu überging, Zähne feilzubieten.«
»Schweigt still, ich will nichts mehr hören!« Bruder Gregory preßte den Mund zu einer dünnen Linie zusammen.
»Ein Tag, wie er im Buche steht«, dachte Margaret. »Ich habe einen großen Teil der Geschichte fertig und obendrein noch Bruder Gregory geärgert. Nun muß ich wohl wieder an meine Arbeit gehen.« Heute machten sie Seife, das war an sich kein schwieriges Unterfangen, aber doch überwachte Margaret es gern selbst, denn nur so ging sie sicher, daß die Seife nicht zu scharf wurde. Seife, die dem Benutzer die Haut vom Leibe ätzt, hat etwas sehr Häßliches an sich. Später sollte dann der Schneider kommen, um für ein neues Kleid nebst Überkleid Maß zu nehmen, die Kendall für sie bestellt hatte. Er hatte beschlossen, Margaret und die Mädchen müßten für die Weihnachtszeit neu herausgeputzt werden.
»Ich habe da ein Stück dunkelgrünen Samt, der deine Augen zum Leuchten bringt, mein Schatz«, hatte er gesagt und ihr dabei den Arm um die Schulter gelegt. Margaret machte sich zwar nie viel Gedanken über Kleider und konnte es nicht leiden, wenn sie für den Schneider stillstehen mußte, doch wie durfte sie dem Mann, der sie so sehr schätzte, ein so gut gemeintes Angebot abschlagen? Kendall kleidete auch noch seinen ganzen Haushalt neu ein, und Margaret fiel es zu, das Ganze in die Wege zu leiten. Und dann natürlich das Abendessen wie üblich. Das in einem großen Haushalt aufzutragen, ist eine Arbeit für einen Feldmarschall. Widerstrebend schob Margaret den Gedanken an ihr Buch beiseite, noch bevor Bruder Gregory ganz gegangen war, und als er Lebewohl sagte, blickte sie ihn ein wenig geistesabwesend an, ehe ihr einfiel, daß sie ihm auf das, was er anscheinend gesagt hatte, noch eine Antwort schuldete.
»Ich sagte gerade, daß ich zwei Wochen lang geschäftlich außerhalb von London zu tun habe«, wiederholte er übertrieben geduldig.
»O! Nun ja, ist in Ordnung. In der Zwischenzeit kann ich ja üben«, sagte sie, so als hätte sie immer noch nicht ganz begriffen, was er da sagte. Dann ging ihr jäh auf, was los war, und sie fragte, jetzt aber mit einem Unterton von Besorgnis:
»Ihr wollt fort? O du liebe Zeit, hoffentlich nicht lange?«
»Zwei Wochen, wie ich schon sagte.«
»Ihr kommt aber wieder und helft mir mit dem Buch, ja?« Ich bin zu weit gegangen, und jetzt habe ich ihn wirklich erzürnt. Wie komme ich nur zurecht, wenn er wirklich nicht wiederkommen will? Der Gedanke ging ihr durch und durch.
»Ja, natürlich. Meine auswärtigen Geschäfte dürften nicht zu langwierig sein. Es sind lediglich familiäre Dinge. Dazu benötige ich zwei Wochen.«
»O, ja, zwei Wochen. Das ist nicht lange.« Sie hörte sich erleichtert an.
»Genau«, sagte Bruder Gregory, wobei er das Wort trocken und präzise aussprach. Man kann sich im Umgang mit Personen von angeborener Begriffsstutzigkeit doch nicht genug vorsehen.
Kapitel 7
W ährend seiner zweiwöchigen Abwesenheit hatte Bruder Gregory versucht, das Beste aus dem unangenehmen Aufenthalt zuhause zu machen, indem er sich mit allerlei ablenkenden Gedanken vergnügte. Er hatte seiner Neugier die Zügel schießen lassen und war der
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