Die Stimme
uns einkehren. Wir haben ein gutes Ale gebraut, und etwas zu essen findet sich vielleicht auch.«
»Ich komme mit, nur essen kann ich nicht«, sagte er matt. »Ich glaube, sämtliche Zähne sitzen locker.«
»Laßt mich sehen«, sagte ich.
»Nicht hier; das schickt sich nicht.«
»Na gut, dann gehen wir eben. Ob Ihr Euch auf meine Schulter stützen mögt.« Er fuhr zurück.
»Das schickt sich genauso wenig«, sagte er. Doch nach ein paar Schritten wurde er blaß um die Nase.
»Vielleicht brauche ich Eure Hilfe doch.«
»Manchmal brauchen wir alle Hilfe; aber Geben ist nun mal seliger als Nehmen.«
»Ihr redet wie eine alte Frau«, sagte er und stützte sich dabei auf meine Schulter.
»Wie eine alte Frau, wie ein Mann; niemand findet, daß ich wie ich rede – einfach wie Margaret. Was das angeht, ist es schon eine merkwürdige Stadt.« Jetzt gingen wir von Bishopsgate in Richtung Cornhill. Viel weiter war es nicht, und das war auch gut so. Er sah nicht so aus, als ob er noch viel weiter hätte gehen können.
»Ihr seid nicht aus London?« fragte er.
»Nein, ich bin vom Lande.«
»Das hätte ich mir denken können. Für ein Stadtmädchen seid Ihr zu einfältig.«
»O, bitte, so einfältig nun auch wieder nicht.«
»Nein, das nehme ich zurück. So einfältig nun auch wieder nicht. Biegen wir hier ab?« Wir waren mittlerweile in unserer schmalen Gasse angelangt und mußten uns vorsehen, daß wir nicht in Unsägliches im Rinnstein traten. Als wir vor der Haustür standen, machte Peter auf. Vater Edmund sah erschrocken aus, während Peter vor Freude auf- und abhüpfte und grunzte und grinste.
»Bekommt keinen Schreck, Vater Edmund, er will guten Tag sagen. Er freut sich, Euch zu sehen.«
»Wer oder was ist das?«
»Tut ihm nicht weh. Das ist Peter, Mutter Hildes letztes, verbleibendes Kind. Er ist nie ganz richtig im Kopf gewesen, aber sie ist gut zu ihm. Er tut niemand etwas zuleide.«
»Ist er ein Christ?« Vater Edmund sah noch immer entgeistert aus.
»O Vater Edmund, er ist zu einfältig, um dergleichen zu verstehen. Aber er liebt Christus – er küßt das Kreuz, seht Ihr?« Ich hielt Peter mein Kreuz hin, und er bückte sich unbeholfen darüber. Vater Edmund lächelte matt, so gut es eben mit seinem schmerzenden Mund ging.
»Das ist also das Los des berühmten Brennenden Kreuzes? Eine arme Wehmutter vom Lande trägt es in London spazieren, und ein sabbernder Idiot küßt es.«
Das brachte mich in Harnisch, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich setzte ihn ans Feuer, denn wo die Sonne nicht hinkam, war es kühl, und schenkte ihm Ale ein. Er trank ein Schlückchen und verzog das Gesicht. Ich bemerkte, wie seine Blicke ununterbrochen durchs Zimmer schweiften, auch wenn er seinem Bein zuliebe stillsaß. Wie gut, daß wir just gestern blitzblank saubergemacht hatten. Die Katze kam mit einem Kätzchen im Maul an ihm vorbei und verschwand hinter dem Holzstoß. Dann tauchte sie ohne Kätzchen wieder auf, ging an ihm vorbei und kam mit dem nächsten Kätzchen daherstolziert.
»Was hat denn die vor?«
»Sie zieht mit ihren Kleinen um. Das macht sie von Zeit zu Zeit. Irgendwann mag sie ihr Lager nicht mehr und zieht um.«
»Und was ist das für ein Geschöpf, das Euch an der Tür begrüßt hat? Und welches Ende ist der Kopf?«
»Das ist Lion; er ist ein Hund, und ich zeige Euch auch seinen Kopf. Hierher, Lion.« Lion kam von seinem Platz zu meinen Füßen hoch.
»Mach hübsch, Lion.« Der Hund machte Männchen. »Da«, sagte ich, »das ist sein Kopf.« Die rosige Zunge hing Lion aus dem Maul, und seine braunen Augen funkelten tief verborgen im Fell. Er sah aus, als lachte er. Ich nahm ihn auf den Schoß, wo er auf der Stelle einschlief.
»Was für ein seltsamer Hund. Irgendwie sieht alles in diesem Haus seltsam aus.«
»Ich bin nicht seltsam.«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher, Margaret. Macht Ihr das eigentlich immer noch? Das, was ich in jener Nacht gesehen habe? Mir ist da ein selbstsüchtiger Gedanke gekommen. Es geht um meine Schmerzen, die ich eingedenk von Christi Leidensweg eigentlich ertragen sollte.«
»Wenn Ihr sie ertragen wollt, ich werde Euch nicht daran hindern. Aber wenn nicht, dann helfe ich Euch.« Vater Edmunds Gesicht sieht ehrlich aus, dachte ich. So als ob er alles in den richtigen Hals kriegt, wenn Ihr wißt, was ich meine. »Dieser Tage mache ich es ohnedies viel.«
»Viel? Was soll das heißen?« Er sah erschrocken aus.
»Naja, es hat in den Wochenstuben
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