Die Stimme
solltet mit Gott sprechen, wenn es über euch kommt. Über Erhabenes, versteht Ihr, auf einer höheren Ebene. Fürwahr, Ihr seid wirklich unmöglich.«
»Tut mir leid, daß ich unmöglich bin. Ich versuche doch nur, das Beste daraus zu machen. Ich glaube, Gott möchte, daß die Menschen gesund sind – darum läßt er mich dabei helfen, daß sie sich selbst heilen. Ich hätte gern mehr gelernt, damit ich alles so tun könnte, wie es sich geziemt, doch das ging nicht. Aber ich gebe mir alle Mühe, ich beobachte und denke nach.« Ich sprach demütig, denn es ist sehr unklug, einen Priester vor den Kopf zu stoßen – selbst einen, der nett wirkt.
Er trank einen ganzen Krug Ale und noch einen, darauf aß er Brot und Käse. Er sah wirklich viel, viel besser aus.
»Was berechnet Ihr für diese – äh – Hilfe zur Heilung?«
»Gar nichts, wirklich, aber sonst bekomme ich Sachen, je nachdem was die Menschen von meiner Hilfe halten. Meistens Gemüse, oder ein Hühnchen. Kleider, solche Sachen eben. In anderen Stadtteilen zuweilen auch Geld. Aber hier sind die meisten arm.«
»Das habe ich bemerkt. Fürchtet Ihr Euch nicht in dieser Gegend? Sicher ist es hier nämlich nicht.«
»Früher schon, aber seitdem ich hier jedermann kenne, ist es nicht mehr so schlimm. Die Menschen sind sich überall gleich. Vor den großen Herren fürchte ich mich mehr. Ich habe mal einen kennengelernt, der konnte einem wirklich Angst einjagen. Wild und grausam war er, weil er tun und lassen konnte, was er wollte.«
»Ihr fühlt Euch hier also wohl?« Er blickte sich um, aber ich merkte, daß er einen gewissen Abscheu verbarg.
»O, unser Geschäft geht gut. Hilde und ich bekommen die Geburtshilfe recht anständig bezahlt. Manchmal wenden sich Menschen auf der Straße oder in der Kirche an mich und geben mir Geld, damit ich für sie bete. Das habe ich alles gespart, und davon haben wir das Dach ausbessern lassen. Dachziegel sind nämlich furchtbar teuer. Vergangenen Winter hat es böse durchgeregnet, und weil wir nicht immer Feuerholz hatten, mußten wir schrecklich frieren. Jetzt geht es uns besser, viel besser.«
»Hilde ist Eure Lehrherrin? Die, von der Ihr gesprochen habt?«
»O, Ihr vergeßt aber auch gar nichts! Aber ich bin auch neugierig. Ich möchte nämlich wissen, warum Ihr in der Stadt hinter wundertätigen Pfannkuchen her seid, anstatt die Messe zu lesen.«
»Ich bin Theologe. Wißt Ihr, was das ist?«
»Ein Mann, der Religion studiert – alles über Gott. Seid Ihr Magister oder Doktor?«
»Oho! Ihr wißt mehr, als Ihr vorgebt, Margaret. Woher weiß ein Mädchen vom Lande derlei?«
»Ich habe einen Bruder, der Theologie studiert. Er war so furchtbar klug, daß ihn Abt Odo von St. Matthew's auf seine Kosten nach Oxford geschickt hat. Ich weiß es also von meinem Bruder.«
»Ja, das ist natürlich etwas anderes! Seht Ihr Euren Bruder oft?«
Mir war auf einmal traurig zumute. »Nie«, sagte ich. »Ich habe ihn verloren und weiß nicht, wo er ist. Ich habe alles verloren, was mein war, außer die Menschen in diesem Haus hier.«
»So ist das also. Habt Ihr sie vor der Vision verloren?« Jetzt klang er brüsk und berufsmäßig.
»Ja, natürlich«, gab ich zurück.
»Hmm. Ich glaube, es gibt einen Namen für Eure Gabe . Einen lateinischen, darum würdet Ihr ihn nicht verstehen. Habt Ihr nach Eurer Vision das Gefühl eines Einsseins mit dem Universum gehabt?«
»Ich glaube, so hat es sich angefühlt. Ist das schlimm?«
»Im großen und ganzen ist es gut. Doch ist es selten, und wer sich in der Kunst der Kontemplation übt, begehrt es innigst. Ja, ich bin selber etwas neidisch auf Euch, weil ich es auch angestrebt habe. Aber Gott hat mir dieses Gefühl vorenthalten. Und ich möchte gewißlich keine Frau und unwissend sein, nur um es zu erlangen! Nehmt Euch in acht, Margaret, denn wenn Ihr mehr tut, als arme Leute zu heilen, weckt Ihr Neid. Großen Neid höheren Ortes, und das tut nicht gut. Doch jetzt muß ich gehen.«
Er stand auf und wollte sich verabschieden, aber er humpelte immer noch leicht.
»Nächste Woche nehme ich mir Euer Knie noch einmal vor, wenn Ihr wollt.«
»Ja, gern. Ich komme wieder. Außerdem wird hier im Haus ein gutes Ale gebraut.«
»Das sollte es auch. Meine Mutter war Brauerin.«
»Brauerin? Ha! Brauerin. Natürlich. Warum auch nicht?« Und er trat aus der Tür, ging die Straße entlang und summte dabei etwas Seltsames vor sich hin.
Ein paar Tage später stand ein kleiner Page in prächtiger
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