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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Gesicht einmal am Tag – nur einmal! – mit einem sauberen, in Rosenwasser getränkten Leinentuch waschen.« Die Dame nickte. Der Arzt legte den Kopf schief.
    »Ihr verwendet nur Kräuter? Keine Metalle?«
    »Ich bin eine einfache Frau, Sir, und verwende einfache Dinge. Ich glaube, wenn Gott gewollt hätte, daß wir Metalle essen, hätte er uns statt eines Magens einen Schmelztiegel gegeben.«
    »Gesprochen wie ein Mann! Seid ihr eine Bauerndirne?«
    »Nein, ich bin eine Freigeborene, und ich denke wie ich.«
    »Das merkt man.« Er schwieg vor sich hin, und seine dunklen Augen beobachteten mich wie die einer Katze, als ich alles noch einmal wiederholte. Das Gesicht sah schon viel besser aus. Die Poren wurden kleiner, und hier und da leuchtete ein Stückchen weiße Haut.
    Der Arzt untersuchte ihre Haut und blickte mich dann etwas widerwillig bewundernd an.
    »Ich sehe, auch Ihr seid zum Arzt berufen«, sagte er mit seinem starken Akzent. »Erlaubt, daß ich mich vorstelle. Ich bin Dottore Matteo di Bologna. Und Ihr seid –?« Seine forschen, ausländischen Manieren machten mir irgendwie Angst, ich überlegte, ob er mir gefährlich werden könnte. Hatte Vater Edmund mich nicht davor gewarnt, Neidgefühle zu wecken? Aber es war zu spät. Ich durfte nicht unhöflich sein: das würde nur verdächtig wirken.
    »Ich bin Margaret von Ashbury«, antwortete ich schlicht und fuhr mit der Arbeit fort.
    Auf einmal starrte mich die Frau an und riß die Augen auf.
    Die Worte stürzten nur so aus ihr heraus, und ich merkte, daß sie dabei das Kreuz anblickte, das auf meiner Brust glänzte.
    »Madame sagt, es ist kein Wunder, daß Ihr die Kraft zum Heilen besitzt. Ihr tragt das Brennende Kreuz.« Schon wieder! Aber wieso sollte ausgerechnet ich ihr den Glauben nehmen?
    »Sie sagt, sie hätte sich schon immer gefragt, wo es geblieben wäre. Ihr Onkel besaß es, und es verschmorte ihn bis auf die Knochen. Danach wollte er es loswerden. Er hat es irgendeinem Kleinkrämer angedreht, der ihm wegen einer Schuld zusetzte.«
    Es geht schon sonderbar zu auf der Welt. Doch manchmal geschehen zu viele Dinge auf einmal.
    »Madame sagt, das hier ist Euer Honorar. Sie gibt Euch Gold statt Silber, denn sie möchte, daß Ihr für sie betet. Kommt nächste Woche wieder.«
    Als man mich zur Tür brachte, folgte mir der ausländische Doktor.
    »Was Ihr sagt und Ihr tut, erscheint durchaus vernünftig. Ich hatte in Bologna einst einen Lehrer, der bei den Sarazenen studiert hatte. Der sagte auch so Sachen wie Ihr. Habt Ihr mit diesen Methoden viel Erfolg?«
    »Wenn ich sie ausprobiere, ja. Aber normalerweise behandle ich keine Krankheiten. Ich bin Wehmutter.«
    »Wehmutter! Ach ja! Darunter gibt es einige, die sind gar nicht so dumm.« Er sah erleichtert aus und ließ mich allein auf die Straße gehen.
    Als ich nach Haus kam, rief ich:
    »Hilde, Hilde! Bist du zuhause? Wir sind reich!«
    »Gut, daß wir reich sind, denn ich habe heute nicht einen Penny verdient. Taucht da doch ein Mann auf, der etwas haben will, wovon seine Geliebte ihr Kind loswird. ›Solche Arzneien verkaufen wir nicht‹, sage ich, ›denn das ist gegen die Gesetze der heiligen Mutter Kirche.‹ ›Aber Ihr kennt Euch damit aus?‹ fragt er und zeigt mir das Gold in seiner Börse. ›Nein‹, sage ich, ›von derlei habe ich noch nie gehört.‹ ›Dann seid Ihr eine schlechte Wehmutter‹, sagt er. ›Nein‹, sage ich, ›ich bin eine gute, ich hole nämlich lebendige Kinder auf die Welt.‹ Damit ging er. Na, wie findest du das?«
    »Weiß ich nicht, aber ich finde, wir sollten zu Abend essen. Ist Sim da? Er kann uns etwas holen.« Sim spielte, aber in der Nähe, so daß man ihn herbeirufen konnte, und dann sauste er nur zu gern zur Garküche.
    In dem Augenblick hörten wir jemand an der Tür und machten auf. Da stand eine alte, tränenüberströmte Frau. Sie trug ein rostfarbenes Kleid, das schlichte, graue Überkleid einer Frau vom Lande, das wie eine große Schürze geschnitten ist, und ein grobes, weißes Kopftuch. Sie sah eigentlich harmlos aus, doch irgend etwas an ihr wollte mir nicht gefallen.
    »Erbarmen, was ist denn passiert?« sagte Mutter Hilde. »Kommt herein und setzt Euch.«
    »O, o, o«, weinte die alte Frau, »mein süßes Töchterchen ist schwanger, und ihr Liebster will sie nicht heiraten.«
    »Das ist sehr traurig. Braucht sie eine Wehmutter?« fragte Mutter Hilde sanft.
    »Noch nicht. Was sie braucht, ist eine Hochzeit. Ihr verkauft doch Arzneien. Könnt

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