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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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das er trug.
    Ich wagte kaum, den Blick zu heben, so sehr schämte ich mich, als sie mich abführten. Die Tür stand noch offen. Wir waren keine drei Schritt gegangen, als Sim zusammen mit Lion angesprungen kam und rief:
    »He, sie nehmen unsere Margaret mit!«
    »Margaret?« Ein Kopf lugte aus dem Fenster. Wir in der Diebesgasse sind Frühaufsteher. Ein paar Männer kamen uns nachgelaufen.
    »He, wohin bringt Ihr Margaret? Wir brauchen sie hier.«
    »Zurück, oder Ihr seid des Todes«, sagte der Gerichtsbote. »Sie gehört jetzt dem Bischof.« Die Büttel zogen drohend die Schwerter, während der Gerichtsbote mich am Arm gepackt hielt. Meine Nachbarn wichen zurück. Ich konnte mich nicht umdrehen, aber ich spürte, daß hinter mir noch mehr Menschen zusammengelaufen waren, eine große Schar Männer und Frauen, die schweigend dastanden und zusahen.
    »Gott steh dir bei, kleine Wehmutter!« hörte ich eine Frau schluchzen. Vor Tränen konnte ich nichts sehen, während sie mich wie eine Blinde abführten.
    Es war ein langer Weg, kann sein, der längste meines Lebens, ehe wir unser Ziel erreichten: das Domkapitel der Kathedrale. Das ist ein Gebäude, welches Menschen wie ich in der Regel nie zu sehen bekommen, es sei denn, sie haben sehr viel Pech. Dort kommen Dechant und Kanoniker zu Beratungen zusammen, doch es dient auch anderen Zwecken. In einem Winkel zwischen dem Hauptschiff und dem südlichen Querschiff der Kathedrale gelegen, ist es ein achteckiges Gebäude inmitten eines einstöckigen Klosters. Im Nachhinein meine ich, wenn ich bloß eine alte Frau gewesen wäre, die ein paar alberne Liedchen gesungen oder einen Liebestrank verkauft hätte, wahrscheinlich hätte man mir eine Geldbuße auferlegt oder mich ein paar Tage eingesperrt. Wäre ich ein mächtiger, ketzerischer Theologe gewesen, man hätte mich wohl mit großem Aufwand in der Kathedrale selbst angeklagt, damit die Mächtigen beim Anblick der feierlichen Verurteilung und des Scheiterhaufens erzitterten. Stattdessen wußten sie nicht so recht, was ich nun war. Wieso auch nicht, schließlich wußte ich es selber nicht, woher also sie? Und so waren dazumal die Zeiten beschaffen, daß sie einen Aufstand des Pöbels befürchten mußten, wenn sie das Verfahren nicht geheimhielten, denn mittlerweile war ich in allen ärmeren Stadtvierteln wohlbekannt.
    Der Gerichtsbote führte mich in einen kleinen Vorraum, der nichts enthielt außer ein paar harten Bänken und an der Wand einen eisernen Ständer für die Pechfackeln. Dann führte er mich einer Art Haushofmeister vor, und der Haushofmeister schickte nach dem Gefängnisaufseher, denn die Kathedrale hat auf ihrem Gelände ein eigenes Gefängnis für Vergehen gegen die Kirchengesetze, so wie die Stadtgefängnisse für Vergehen gegen die weltlichen Gesetze gedacht sind.
    »Ist das die Frau?« sagte der Haushofmeister. »Sie ist jünger, als ich dachte. Ich nahm an, sie wäre ein altes Weib.« Seine Stimme klang hart. »Sperre sie ein, Aufseher.« Das lüsterne Grinsen auf seinem Gesicht, als er das sagte, gefiel mir gar nicht.
    »Verzeihung, Sir«, unterbrach ihn der Aufseher. »Ich habe augenblicklich nur Männer im Gefängnis. Ich kann für ihre Sicherheit nicht gradestehen.«
    »Eine Frau wie die da muß man nicht verhätscheln.« Er kam näher und versuchte, seinen Leib an meinen zu drücken. Ich wich zurück.
    »Ach, stell dich nicht an, wer läßt sich wohl einen Trunk aus einem angezapften Faß entgehen?« Er versuchte, mir die Hand in den Ausschnitt zu schieben, aber ich war zu flink für ihn.
    Der Aufseher griff ein, denn er war ein anständiger Mensch.
    »Ich bin dafür verantwortlich, daß ich sie in dem gleichen Zustand abliefere, wie ich sie übernommen habe, Sir. Sie sollte nicht ins Gefängnis. Ich nehme sie mit nach Haus. Ich glaube nicht, daß sie flieht.«
    »Es gilt dein Leben, wenn sie dir abhanden kommt«, knurrte der Haushofmeister.
    »Darauf lege ich einen Eid ab; und ich bringe sie genauso zurück, wie sie jetzt ist. Das würde auch der Bischof wollen.«
    »Der Bischof, der Bischof. Kann sein, Ihr habt recht, sonst möchte die Vernehmung schlecht auslaufen.« Er knirschte vor Ärger mit den Zähnen.
    »Ich habe ein Gewahrsam. Da sperre ich sie ein. Niemand kommt in ihre Nähe, ich schwöre es. Das ist besser so, weil das Gefängnis nicht sicher ist, und wir bekommen womöglich Ärger, wenn wir sie dort verlieren.«
    Der Haushofmeister sah wütend aus, weil man ihm seine Beute entriß. Als

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