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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ohne Anleitung verstehen?« Jetzt merkte ich, worauf das hinauslief. Er wollte seine eigene Haut retten, weil er mich gekannt hatte, indem er mich zwang, meinem Schuldbekenntnis noch etwas hinzuzufügen – nämlich das Eingeständnis meiner Unwürdigkeit. Es soll ja reichen, wenn man im Staub vor ihnen kriecht und alles bereut, dann erdrosseln sie einen, ehe sie den Scheiterhaufen in Brand stecken. Doch ich war soweit, daß mich derlei Spitzfindigkeiten nicht mehr kümmerten. Ich wußte nur, daß ich von einem Mann verraten wurde, dem ich vertraut hatte, weil ich fand, er hatte ein nettes Gesicht. Das Herz wollte mir brechen, und ich mußte weinen.
    »Antwortet!« Seine Stimme war brutal. Tränen strömten mir übers Gesicht, und ich kam ins Stammeln, als ich antwortete:
    »Es – es ist wahr – ich bin unwissend – ich kann nicht lesen – ich bin bloß eine Frau –«
    »Eine dumme Frau?« half seine harte Stimme nach.
    »Eine – eine – dumme Frau«, schluchzte ich.
    »Und doch habt Ihr es gewagt, Euch über die Priester zu erheben?« Noch einer, der zusammen mit Vater Edmund über mich herfiel.
    »Ich – ich habe es nicht – ich konnte nicht –«Ich wischte mir das Gesicht mit dem Ärmel. Ihre Stimmen schienen zu verschmelzen, während sie mich lautstark schmähten.
    »Bleibt nur noch ein Punkt zu bekennen«, unterbrach der Bischof. »Schreiber, lest das Dokument vor, welches dieses falsche Weib verdammt.«
    Der Schreiber las mit lauter Stimme von einem Papier ab:
    »Im Jahre des Herrn eintausenddreihundertundneunundvierzig hat Lewis Small, Kaufmann in der Stadt Northampton, erklärt, daß seine Ehefrau Margaret von Ashbury an der Pest gestorben sei, und hat ihren Tod ins Kirchenbuch eintragen lassen, wobei er drei Seelenmessen für sie bezahlte.«
    »Und nun«, sagte der Dominikaner, und seine Augen glitzerten unter der dunklen Kapuze, »nun sagt uns, wer Ihr in Wahrheit seid.«
    Mein Gott! Da griff doch Lewis Smalls ekelhafte Hand noch aus dem Grab nach mir und verurteilte mich! Das übertraf alles. Die Heuchelei dieser drei mickrigen Seelenmessen erboste mich über alle Maßen. Ich konnte ihn direkt vor mir sehen, wie er süß lächelnd die Augen gen Himmel verdrehte und eine Träne verdrückte, nur damit er freie Bahn für eine Wiederheirat hatte. Lewis Small sollte nicht das letzte Wort haben, nie und nimmer. Trotzig warf ich den Kopf zurück und sagte:
    »Ich bin Margaret von Ashbury, und ich lüge nicht. Wer hier lügt, ist Lewis Small. Er hat mich zu Unrecht für tot erklären lassen, nur damit er wieder heiraten konnte.«
    »Leugnet Ihr etwa, mit ihm verheiratet zu sein?« sagte der Dominikaner glattzüngig.
    »Ich war mit ihm verheiratet.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Er ist tot.«
    »Wie bequem«, hohnlachte er.
    »Wer seid Ihr also?« fuhr Vater Edmunds Stimme dazwischen.
    »Ich bin Margaret –«
    »Wer, hab ich gesagt?«
    »Ich wurde im Dorfe Ashbury von unserem Gemeindepfarrer, Vater Ambrose von St. Pancras, im Jahre eintausenddreihundertundzweiunddreißig auf den Namen Margaret getauft.«
    »Schon besser«, sagte Vater Edmund.
    »Der Punkt stimmt«, sagte der Schreiber, nachdem er die Urkunde befragt hatte.
    »Gibt es hier irgendjemand, der Euch identifizieren könnte?« fragte Vater Edmund.
    »Ich kenne hier niemand.«
    »Könnte Euer Bruder, David von Ashbury, auch David der Schreiber genannt, Euch identifizieren?«
    »Ja, das könnte er, wenn er noch lebt.«
    »Ihr wißt also nicht, ob er noch lebt?«
    »Wir wurden im Jahre meiner Verheiratung getrennt, und ich habe ihn nie wiedergesehen.« Ich spürte, wie mir schon wieder die Tränen in die Augen stiegen, Tränen der Scham, weil ich meinem guten Bruder David Schande machte und ihn nie wiedersehen würde. Die Nase lief mir, und ich mußte sie abwischen. Mittlerweile war mein Ärmel schon sehr naß und schmutzig. Vermutlich hätte ich mich in einem so furchtbaren Augenblick nicht an einer Nichtigkeit wie einem schmutzigen Ärmel stören sollen, aber so ist der Mensch nun mal.
    »Mylord Bischof, ich schlage untertänigst vor, daß man Euren Sekretär, David von Ashbury, als Zeugen aufruft«, sagte Vater Edmund glattzüngig.
    David! David hier! Dann kam mir inmitten meiner jäh aufflammenden Hoffnung ein furchtbarer Gedanke. Angenommen, David wurde, statt mich zu retten, von mir mit hineingerissen? Jetzt begriff ich endlich, welch gefährliches Spiel Vater Edmund spielte. Er hatte David ausfindig gemacht, hatte die Befragung in eine

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