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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Betragen?«
    »Ja.«
    »Ehe Ihr versucht, etwas zu tun, was Euch gut dünkt, wollt Ihr Euch da nicht überheben, sondern demütig Eurer Unwürdigkeit eingedenk sein und Euch dem Urteil Eures Beichtvaters oder eines anderen trefflichen Priesters unterwerfen?«
    »Ja.«
    »Ich halte sie für durchaus fähig, sich zu bessern«, sagte Vater Edmund.
    »Ich hätte lieber handfeste Beweise«, sagte ein anderer.
    »Ja, Beweise!«
    »Wieso seid Ihr es nicht zufrieden, Wolle zu krempeln und zu spinnen wie andere Frauen?«
    »Ich muß mir den Lebensunterhalt verdienen«, begehrte ich matt auf, aber meine Stimme ging in dem Stimmengeschnatter unter, als mich die gelehrten Doctores schmähten.
    Dann verschaffte sich der Bischof in dem Lärm Gehör und sagte:
    »Also lautet mein Beschluß. Margaret von Ashbury, auch als Margaret Small und Margaret die Wehmutter bekannt, Ihr müßt von Eurem augenblicklichen sündhaften Lebenswandel ablassen. Die Dinge, die Ihr getan habt, haben Euch in Versuchung gebracht und zu Gottlosigkeit verleitet. Doch ein Sünder, der Buße tut, gefällt unserem Heiland allzumal besser als ein toter Sünder. Ihr werdet Euren aufrührerischen Gedanken und Taten gegen die Heilige Schrift feierlich entsagen und abschwören, vornehmlich Euren Irrglauben, was Gottes gerechte Strafe für die Töchter Evas anbetrifft. Ihr werdet ablassen von allen Taten, die Euch zu diesem Glauben verleitet haben: als da sind die Geburtshilfe und das Feilbieten von falschen Heilbehandlungen durch Handauflegen. Desgleichen dürft Ihr in der Öffentlichkeit nicht über Glaubensfragen reden oder auf andere, ungehörige Weise öffentlich Ärgernis erregen. Ihr müßt leben wie andere achtbare Frauen und auf die Art, wie es sich für eine Frau geziemt. Ihr solltet heiraten und Euch einem Eheherrn unterwerfen, falls sich einer findet.
    Ihr müßt regelmäßig Euren Beichtvater aufsuchen, und wir erhalten von ihm Berichte hinsichtlich Eures Betragens. Ihr werdet Euch in Eurer Pfarrkirche demütig der Züchtigung durch die Rute unterwerfen, Euch dort barfüßig und barhäuptig einfinden, in ein weißes Hemd gewandet und mit einer brennenden Kerze in der Hand. Ich spreche Euch los von der Exkommunikation. Seid aber stets eingedenk: solltet Ihr wieder hier erscheinen, so seid Ihr des Todes; Ihr werdet dem weltlichen Arm übergeben, auf daß Ihr brennt. Sogar Unser Herr verlor die Geduld mit Sündern. Schreiber, setzt das Dokument über das Sündenbekenntnis und den Widerruf auf.«
    Während ich schweigend wartete, konnte ich das kurze Federgekratze des Schreibers hören. Es schien nicht viel zu sein, was er da niederschrieb, verglichen mit der Menge, die er laut vorlas, und ich fragte mich, ob sie das alles wohl schon im voraus fertiggestellt hatten, da sie von meiner Schuld überzeugt waren, und nur ein paar bestimmte Einzelheiten ausgelassen hatten, die jetzt, da der Fall abgeschlossen war, eingefügt wurden. Dann stand der Schreiber auf.
    »Margaret von Ashbury, hört Euer Sündenbekenntnis und Euren Widerruf«, verkündete er und hielt das Papier hoch. Meiner Lebtage werde ich nicht vergessen, was er sagte. Ich mochte nicht glauben, daß Papier soviel Schimpf und Schande aushielt. Er las mit klarer, lauter Stimme:
    »Im Gottes Namen stehe ich, Margaret von Ashbury, Wehmutter in der City von London in Eurer Diözese und Eure Untertanin vor Euch, dem verehrungswürdigen Vater in Christus, Stephen, von Gottes Gnaden Bischof von London und gestehe und bekenne, daß ich folgende, in dieser Urkunde aufgeführte Irrglauben und Häresien gehegt, geglaubt und bejaht habe:
    Ich habe die Richtigkeit der Heiligen Schrift hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Evas gerechter Bestrafung durch Gott, daß sie der Menschheit die Ursünde brachte, geleugnet und vorsätzlich und trotzig künstliche Mittel verwendet, um die Töchter Evas von der Last zu befreien, welche Gottes Urteil ihnen auferlegt.
    Ich habe öffentlich verkündet, insonderheit vor Frauen, daß mein Irrglaube richtig ist und sie durch falsch Zeugnis und heimliche Lockworte zur Sünde verleitet.« Hier fuhr ich zusammen. Wann hatte ich denn das gestanden? Dagegen mußte ich mich wehren, und schon wollte ich den Mund aufmachen, doch die Zeit zum Reden war vorbei. Mit halbem Auge konnte ich sehen, wie Vater Edmund mich beschwörend anstarrte und mir zu völligem Schweigen riet. Der Schreiber las weiter:
    »Zu all diesem hat mich sündhafter Stolz und trotzige Auflehnung gegen Gott und Seine

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