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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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eben ging, und kniete auf dem harten Steinfußboden, die Hände in den Handschellen hielt ich hoch, als wollte ich beten.
    »Bitte, vergebt mir meine Missetat. Ich dachte doch nur, ich täte Gutes.« Meine Stimme kam mir sehr jämmerlich vor. Im Raum war es totenstill, abgesehen von dem kratzenden Geräusch, das die Feder des Schreibers machte, während er jedes Wort mitschrieb. Die Miene des Bischofs war verkniffen, so als ob sich für ihn etwas bestätigt hätte, das er bereits wußte. Er blickte mich an, als wäre ich Ungeziefer – lästiges Ungeziefer, das man zerquetschen mußte. Der Mann zu seiner Rechten, ein Mensch mit gewaltigen Hängebacken und Schweinsäuglein sagte mit harter Stimme:
    »Weib, Ihr erhebt Euch selbst, wenn Ihr meint, Ihr könntet angesichts von Gottes Willen beurteilen, was gut ist.« Eine andere Stimme fuhr dazwischen:
    »Und in Eurer Hoffart geht ihr von Kindbett zu Kindbett, zischelt den Frauen ins Ohr wie eine Viper und verlockt sie, der Kirche zu trotzen und sich gegen ihre Eheherren zu erheben.«
    »Sowas habe ich niemals getan, nie und nimmer«, antwortete ich.
    »So leugnet Ihr vermutlich auch, daß Ihr Euch in den ärmeren Stadtteilen herumtreibt und es wagt, vom Willen Gottes zu künden und zu sprechen.«
    »Das mache ich nicht, nein, ich schwöre es, ehrlich nicht. Wenn an meinen Worten etwas Falsches war, dann muß man mir sagen, was. Darf man denn den Namen Gottes nicht aussprechen? Ich schwöre, mehr habe ich nicht getan. Ich wollte wirklich nichts anderes, als Gutes tun, bitte, ich schwöre es.« Ich war verzweifelt. Wie sollte ich denn um mein Leben flehen, wenn ich nicht begriff, was ich verbrochen hatte?
    »Wie wagt Ihr zu schwören, daß Ihr die Wahrheit sagt, wenn Ihr in allen uns vorliegenden Dingen der Lüge überführt seid, außer daß Ihr Euch noch nicht schuldig bekannt habt?« unterbrach mich ein anderer. Was um alles auf der Welt meinten sie damit? Als Antwort darauf, fuhr ein anderer dazwischen:
    »Weib, wißt Ihr denn nicht, was auf Meineid vor diesem Kollegium steht? Ihr werdet Euch noch wünschen, Ihr wäret nie geboren.«
    »Meineid, was heißt das?« fragte ich außer mir. Der Mann, der gesprochen hatte, nickte dem Dominikaner verhalten zu; dessen Augen schimmerten im Licht wie nasse Steine, und ein wissendes Lächeln verzog seine Lippen.
    »Das heißt lügen, Ihr scheinheiliges Dummerchen«, antwortete mein Inquisitor, »lügen, so wie Ihr es jetzt tut.«
    »Aber ich lüge doch nicht, sagt mir um Gottes willen, was ich getan habe.«
    »Bei Gott, diese Frau ist eine Schlange. Ihre Verstocktheit übertrifft alle Vorstellungen«, sagte er zu Vater Edmund.
    Während ich auf den nächsten Schlag wartete, fiel Vater Edmunds Stimme in den Chor der Angreifer ein; sie war so hart und grausam wie ein Peitschenhieb.
    »Und worin, elendes Weib, besteht Eurer Meinung nach dieses Gute? Wie seid Ihr zu Eurer Auffassung von gut gekommen, mit der Ihr Euch so schamlos angesichts Gottes gerechtem Plan brüstet?« Diese Frage war noch schlauer als die anderen. Sie war einfach nicht richtig zu beantworten, ohne daß ich mich noch tiefer verstrickte. Wie konnte er mir das antun? Und ich hatte geglaubt, er würde mir helfen. Mein Blick umflorte sich, als ich ihm antwortete:
    »I-ich habe gedacht, Gutsein heißt, daß man Gottes Gebote und das Beispiel und die Lehren unseres Herrn und Heilands, Jesus Christus befolgt.«
    »Woher kennt Ihr diese Lehren?« beharrte er.
    »D-durch Zuhören in der Kirche.«
    »Hört Ihr getreulich zu?«
    »Ja, ich gehe oft zur Messe.« Die anderen rutschten auf ihren Stühlen hin und her.
    »Und von wem erfahrt Ihr dort, was gut ist?«
    »V-von dem Priester.«
    »Und woher weiß der, wie das Gute aussieht?«
    »Weil er in der Heiligen Schrift liest und weil – er zum Priester geweiht wurde«, antwortete ich.
    »Und welche Gebete kennt Ihr?«
    »Das Vaterunser und das Ave.«
    »Auch das Glaubensbekenntnis?«
    »Nicht ganz.« Worauf wollte er hinaus?
    »Könnt Ihr die Heilige Schrift lesen?«
    »Ich kann überhaupt nicht lesen.«
    »Wenn Ihr die Heilige Schrift nicht lesen könnt und nach so vielen Jahren des Zuhörens so wenig wißt, wie kommt Ihr dann dazu, Euch einzubilden, Ihr könntet selber erkennen, was gut ist? Seid Ihr nicht bei weitem zu dumm, Weib, als daß Ihr derlei überhaupt allein herausfinden könntet? Wie verblendet und eitel müßt Ihr doch sein, daß Ihr wähntet, ein so gemeines, unwissendes Geschöpf wie Ihr könnte Gottes Wort

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