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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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keinen Fehl an mir fanden. Aber dann wurden die Fragen schwieriger und waren mit lateinischen Wörtern gespickt, und ich mußte eingestehen, daß ich nichts verstand. Wieder tauschten sie die wissenden Blicke und hörten mit dieser Art von Befragung auf. Dann wandte sich das Verhör zum Schlechteren, als nämlich der Mann neben dem Dominikaner den Mund aufmachte. Der Mann konnte einem Angst einjagen; sein knallig buntes Gewand verstärkte noch das Graubleiche seines hohlwangigen Gesichtes – Grabesgeruch umwehte ihn.
    »Für mich ist das ohne Zweifel die frechste schamloseste Dienerin des Teufels, die hier versuchen möchte, sich Gottes Gerechtigkeit zu entziehen. Es ist wahr, die Frau ist die Pforte zur Hölle. Und diese da versteckt sich hinter heiligen Worten und vorgetäuschter Schlichtheit, um so besser Seelen für ihren Schwarzen Herrn fangen zu können.« Darauf beugte er sich über den Tisch, blickte mir in die Augen und sagte:
    »Leugnet Ihr etwa, daß Ihr ein Gerät, das sich ›Teufelshörner‹ nennt, dazu benutzt habt, um Kindlein zu ersticken und aus dem Schoß zu ziehen und daß Ihr Eure Seele Satanas verkauft habt, um dieses Gerät zu bekommen?«
    Jetzt dämmerte mir etwas Entsetzliches. Mein Untergang war nicht allein meine Sache. Wenn ich nicht geschickt antwortete, würde ich andere, ehrbare Menschen mit hineinziehen. Niemand durfte erfahren, wer mir die Stahlfinger angefertigt oder wen ich damit gerettet hatte. Gott, steh mir bei, betete ich stumm.
    »Das leugne ich. Nie und nimmer habe ich meine Seele dem Teufel verkauft. Das Instrument ist wie die Zange geformt, mit dem man heiße Sachen aus dem Topf holt. Damit zieht man das Kind aus dem Schoß, wenn es festsitzt. Es raubt nicht Leben, es schenkt Leben. Ich liebe Kinder, nie würde ich ihnen ein Leid antun.«
    »Sieht das Instrument etwa so aus?« Und plötzlich fuchtelte er drohend mit etwas Glänzendem herum. Für einen Augenblick spiegelte sich ein Sonnenstrahl auf den leuchtenden Löffeln der Waffe und bewegte sich als Lichtfleck auf der gegenüberliegenden Wand. Heiliger Jesus! Wie waren sie nur daran gekommen? Ich fuhr zusammen und riß die Augen auf. Der Inquisitor beugte sich vor und fragte mit einem lüsternen Grinsen:
    »Dann gehört das hier also Euch. Das wollt Ihr doch wohl nicht leugnen.«
    »Es gehört mir. Ich bin auf ehrliche Weise dazu gekommen. Es ist eine Waffe gegen den Tod.«
    »Eine Waffe gegen den Tod?« Er hohnlächelte. »Wird sie Euch etwa das Leben retten, wenn wir sie zu Euren Füßen zwischen die brennenden Reisigbündel des Scheiterhaufens legen?«
    »Nein, das wird sie nicht«, erwiderte ich unerschrocken. »Sie besitzt nämlich keine magischen oder teuflischen Kräfte. Es ist nur ein schlichtes Werkzeug, das auf Grund von Beobachtung angefertigt wurde. Es bewahrt doch nur vor Tod, Gram und Schmerzen im Wochenbett. Vor dem Scheiterhaufen aber kann es mich nicht retten.«
    »Bewahrt vor Gram und Schmerzen? Weib, ist Euch klar, was Ihr da sagt?« fragte mein Inquisitor, und in seinen Augen glitzerte es vor geheimer Freude. Ich sah, wie Vater Edmund zusammenzuckte. Sein Gesicht verfiel und wurde bleich.
    »Wollt Ihr etwa leugnen, daß Eva die Ursünde über die Welt brachte?«
    »N-nein«, stammelte ich.
    »Und wie machte sie das?«
    »Sie ließ sich von der Schlange den Apfel geben.«
    »Und was geschah dann?«
    »Adam aß ihn, und Gott vertrieb sie aus dem Paradies.«
    »Und was war Adams Strafe für seine Sünde?«
    »Daß er arbeiten mußte.« Auf einmal merkte ich, wohin die Befragung steuerte, und der Magen drehte sich mir um. Einer Falle war ich ausgewichen, dafür trat ich jetzt in eine andere. Vorbei, aus, ich war verloren. Seine Stimme traf mich wie ein Schlag:
    »Und was verfügte Gott als Strafe für Eva?« Ich zögerte. Er wiederholte seine Frage mit einem hämischen Grinsen und wollte wissen, ob ich plötzlich dumm geworden sei oder das Gedächtnis verloren hätte. Zögernd und mit hängendem Kopf antwortete ich mit kaum hörbarer Stimme.
    »Gott verfügte, daß Eva und ihre Töchter unter Schmerzen Kinder gebären sollten.«
    »Gram und Schmerzen, das waren doch Eure Worte?« fragte er und gab sie mir zurück.
    »Ja.« Ich meinte, an dem Wort ersticken zu müssen.
    »Weib, da steht Ihr nun und habt Euch selbst das Urteil gesprochen«, sagte er mit dem Anflug eines wölfischen Lächelns auf den blutleeren Lippen. Meine Knie gaben nach, doch niemand eilte mir zu Hilfe. Ich kam wieder hoch, so gut es

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