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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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sein altes Feuer einbüßte. Er wirkte auf einmal abgehärmt und völlig außerstande zu einem Streit mit Kendall, nicht einmal über die Beschaffenheit des heidnischen Glaubens zur Zeit von Aristoteles. Ihr würde sogar seine Griesgrämigkeit fehlen.
    »Meine Familie ist sehr alt, Margaret, wir haben einen altehrwürdigen Namen, und den nehmen wir sehr ernst.«
    »Was Ihr mich schon habt merken lassen«, sagte Margaret trocken.
    »Ach, reibt mir doch nicht unter die Nase, daß ich so neugierig gewesen bin. Es tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt habe.«
    »Leid? O, entschuldigt Euch nicht, Bruder Gregory. Bitte nicht. Ihr seid ja ganz saft- und kraftlos und gar nicht mehr der Alte. Diese Nachricht muß Euch aber arg zugesetzt haben.«
    »Vermutlich hat sie das – zumindest was mich angeht«, sagte er. »Wir sind nämlich nicht reich, Margaret – nicht so wie hier, alle diese Sachen hier.« Er machte eine umfassende Handbewegung. »Und ich bin ein jüngerer Sohn.« Bruder Gregory blickte aus dem Fenster und seufzte. Der Garten war ganz winterlich und paßte vollendet zu seiner Stimmung. Nichts als kahle Äste, die im Winde knarrten.
    »Vater hat wieder einmal Schulden, Margaret, und immer wenn er Schulden hat, setzt er mir zu. Als wir den Feldzug in Frankreich mitmachten, hat er sich in Schulden gestürzt, um uns auszustatten – und mir dann wieder zugesetzt; aber nachdem wir große Summen an Lösegeldern einnahmen, hat er Ruhe gegeben. Dann mußte er für Hugos Ritterschlag zahlen – Gebühren über Gebühren. Und eine neue Rüstung von John von Leicestershire – nur das Beste ist gut genug, oder? Dann hat er mich aufgetrieben und mir wieder zugesetzt. ›Zieh ins Feld wie ein Mann‹, hat er gebrüllt, ›und hör endlich auf, dich hinter einem Haufen langer Röcke zu verstecken.‹ Ich kann Euch sagen, das war ein Skandal. Man konnte ihn vom Besuchszimmer bis in die Studierstube des Abtes hören. An jenem Tag hat er mir keine Freude gemacht!
    Man sollte meinen, er wäre mir dankbar für meinen Entschluß. Schließlich habe ich ihm allerhand Mühe erspart. Aber nein, er schimpft schon so lange darüber, wie ich überhaupt denken kann. Es ist nämlich nicht leicht, eine Berufung zu haben und obendrein seinen Vater zu ehren – das heißt, wenn man so einen Vater hat wie ich. Wie der sich immer aufgeführt hat: ›Weg mit dem Schmöker da, du infernalischer Welpe, und nimm dir ein Beispiel an deinem älteren Bruder Hugo, der ist ein Ritter, wie er im Buche steht!‹ ›Ich bin schon auf dem Turnierplatz gewesen, Vater‹, habe ich dann wohl gesagt. ›Dann wieder zurück mit dir!‹ hat er gebrüllt und mich niedergeschlagen. Alsdann hat er mich an den Hof des Herzogs verfrachtet und gesagt, ich sollte auch noch dankbar sein. Dankbar! Ei, der Mann war genau wie Vater! Ich schwöre Euch, Margaret, die beiden hatten sich abgesprochen, meine Berufung aus mir herauszuprügeln. Seit ich mich entschlossen habe, mein Leben Gott zu weihen, habe ich nur noch aus blauen Flecken bestanden! Ihr habt ja keine Ahnung, wie Vater schimpfen kann, selbst jetzt noch, wo er alt ist!« Bruder Gregory strich durchs Zimmer wie ein eingesperrter Wolf und sah sehr, sehr aufgebracht aus.
    »Es ist einfach nicht gerecht, daß er meinen Entschluß nicht respektiert. Ich meine, er sollte dankbar sein! Ich habe alles getan, was er wollte. Ich habe bewiesen, daß ich nicht feige bin. Aber ich will meinen eigenen Weg gehen. Warum muß ich wie Hugo sein? Fürwahr, dafür gibt es keinen Grund, und gänzlich ungerecht ist es obendrein. Ihr findet doch auch, daß es ungerecht ist?«
    Margaret wußte nicht so recht, was er meinte, doch er sah so aufgewühlt aus, daß sie es für das Beste hielt, ihm beizupflichten.
    »Und warum meint er jetzt wohl, daß er mir wieder zusetzen kann, jetzt, wo mein spirituelles Leben ganz kurz vor der Erfüllung einer lebenslangen Suche steht? Wißt Ihr warum? Weil er behauptet, das Dach müsse ausgebessert werden! Es ist einfach nicht zu fassen? Ich soll wieder zum Heer gehen und Geld für sein Dach beschaffen, genau in dem Augenblick, wo ich kurz davorstehe, daß ich Gott zu sehen bekomme. Welche Sünde habe ich nur begangen, daß Gott mich mit solch einem Vater straft? Aber ich sage Euch, mich kann er nicht zurückhalten! Nie und nimmer! Ich werde Gott trotzdem sehen! Und wenn das geschieht, dann habe ich ein Hühnchen mit Ihm zu –« Bruder Gregory hob die geballte Faust gen Himmel und schüttelte sie. An

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