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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ihren Töchtern vermachen. Eines Tages wird jemand meine Seite hören wollen.« Sie hielt inne und setzte dann beschwichtigend hinzu:
    »Nehmt es Euch nicht so zu Herzen. Ich habe schon große Fortschritte gemacht und bin, was die da oben angeht, fast schon gebessert. Vater Edmund heimst das Lob dafür ein. Den sehe ich nämlich manchmal.«
    »Habt Ihr die Buße geleistet?«
    »Ihr meint, ob ich im Unterhemd um Vergebung gefleht und dabei eine riesige Kerze in der Hand getragen und blutige Fußabdrücke auf den Steinen hinterlassen habe? Nein, selbstverständlich nicht. Mein Mann hat mich natürlich losbekommen. Er ist jetzt für mich verantwortlich.«
    »Euch losbekommen? Das ist nicht so einfach.«
    »Manchmal, Bruder Gregory, könnte man meinen, daß Ihr noch einfältiger seid als ich. Nach unserer Verlobung hat mein Mann mich losgekauft. Er hat gesagt, es gezieme sich eher für seinen Stand, daß ich privat und bekleidet bereue. Der Priester hat meinen Rücken die vorgeschriebenen Male berührt und bescheinigt, daß es Schläge waren. Die Kerze war sehr groß und teuer, und er hat ihnen den kleinen Schrein gekauft, auf den sie in der Pfarrkirche so erpicht waren. Mit Geld läßt sich nämlich alles regeln.«
    »In London vielleicht, doch nicht in Paris«, sagte Bruder Gregory bitter. Sie durfte nicht einmal ahnen, woran er dachte. Es ist wirklich nicht gerecht, kochte es in ihm. Nicht nur, daß er für seinen Irrglauben im Unterhemd um Vergebung hatte bitten, nein, er hatte auch noch alle Exemplare seines Buches eigenhändig ins Feuer werfen müssen. Dazu noch in der Öffentlichkeit, im Beisein von wirklich Hunderten von Menschen, die häßliche Bemerkungen machten, als die Offiziale der Kirche das Schuldbekenntnis und den Widerruf laut verlasen. Das hatte sogar noch mehr geschmerzt als die Peitschenhiebe, die machten, daß ihm das Hemd am Leib festklebte. Man hatte es abweichen müssen, und noch wochenlang danach hatte er krank daniedergelegen. Und eine Frau brauchte bloß zu weinen, und schon ließ sich alles mit Geld regeln.
    »Da mögt Ihr recht haben«, sagte Margaret friedfertig, und ihre Stimme riß ihn aus seinen gräßlichen Träumen. »Mein Mann sagt, daß für Geld in London alles zu haben ist. Darum machen Kaufleute hier auch so gute Geschäfte.«
    »Hmpf. Ja. Selbst ein Kaufmann von gefälschten Ablaßbriefen«, sagte Bruder Gregory grämlich.
    »Du lieber Himmel«, erwiderte Margaret, »in der City verkauft Bruder Malachi die nie und nimmer. Hier ist man viel zu ausgepicht.« Gregory sah noch düsterer aus als gewöhnlich.
    »Mit dem trefft Ihr Euch vermutlich auch noch.«
    »Niemals. Ich kann nämlich nicht ins alte Haus zurück. Wenn ich die da oben dort hinführen würde, wäre er so gut wie tot. Hilde hat meine kleinen Mädchen entbunden, und sie sehe ich auch noch. Aber niemals dort – nein. Ich bin sehr vorsichtig. Lion habe ich behalten, und wenn ich nach ihr schicken möchte, dann lasse ich ihn raus, und er holt sie.«
    »Viel ist ja nicht an ihm dran, aber dafür ist er sehr schlau.«
    »Das finde ich auch. Tiere sind manchmal fast wie Menschen.«
    »Vorsicht, Margaret, Ihr seid schon wieder hart an der Grenze – Tiere haben keine Seele.«
    »Angenommen, ich sage, das stimmt, weil auch einige Menschen keine haben?«
    »Ärger denn je!« Gregory lächelte wehmütig. »Gut, daß nicht Ihr das gesagt habt.«
    Bruder Gregory schob Federhalter und Tintenhorn beiseite und gab Margaret das Manuskript. Sie kniete sich vor die Truhe und verwahrte es in der Geheimschublade. Er sah schon wieder verlegen aus, denn er überlegte, wie er ihr die schlechte Nachricht am besten beibrächte.
    »Margaret, Ihr bekommt von mir jetzt eine neue Schreibaufgabe. Ihr werdet den letzten Teil Eures Buches selber schreiben müssen.«
    »Ihr wollt gehen?« Sie sah verschreckt und verstört aus. »Doch nicht etwa meinetwegen, oder?«
    »Nein«, sagte Bruder Gregory betrübt, »wegen meiner Familie. Meine Welt geht gerade zu Bruch, so wie die Eure endlich heil geworden ist. Ich würde gern bleiben und mitbekommen, wie die Geschichte ausgeht. Die Neugier ist einer meiner schlimmsten Fehler, und sie hat mich schon oft in böse Situationen gebracht. Zuweilen aber auch in gute, wenn ich an dieses Haus denke. Doch damit ist es nun vorbei.«
    »Mögt Ihr mir davon erzählen, oder ist es ein Geheimnis?« Margaret verspürte auf einmal herzliches Mitgefühl. Es war sehr betrüblich, mit ansehen zu müssen, wie Bruder Gregory

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