Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
zurückhalten konnte.
    »Keine Männer mögen? Was, keine Männer mögen?« Kendall warf den Kopf zurück und lachte.
    »Ei, ein Mädchen wie Ihr ist doch dazu geschaffen, Männer zu mögen! Du liebe Zeit, wie konnte es nur so weit mit Euch kommen?«
    »Ich weiß nicht. Aber Verheiratetsein ist schlimm. Das weiß ich aus Erfahrung.«
    »Welche Erfahrungen hättet Ihr in Eurem Alter schon machen können? Wetten, daß Ihr von der Ehe gar nichts wißt.«
    »Ich weiß viel zuviel. Ich war mit einem gräßlichen, gräßlichen Mann verheiratet. Ein Mann wie der leibhaftige Teufel, nur daß meine Eltern nichts davon ahnten, als sie die Ehe absprachen. Nur die Pest, die alle so verfluchen, hat mich von ihm befreit.«
    »Ei, kleine Margaret«, sagte er weich. »Hat er Euch wehgetan? Wenn ja, so tut Ihr mir leid.«
    »Er hat mich geschlagen. Er hat mir wehgetan. Seine – seine erste Frau hat sich im Schlafzimmer erhängt. Er war so schlecht.« Jetzt weinte ich in seine Bettdecke.
    »Ich würde – ich würde ja Nonne werden, wenn es ginge, aber ich habe keine Mitgift für das Kloster, und rein bin ich auch nicht mehr. Die wollen keine Mädchen, die nicht rein sind.«
    Er beugte sich vor und nahm mich tröstend in den Arm.
    »Ihr seid rein, Margaret. Ihr seid eine keusche Wittib. Wer könnte wohl noch reiner sein? Ich bin reich. Für mich wäre Eure Mitgift kein Problem.«
    »Ach, Ihr meint es gut, aber Ihr versteht einfach nicht. Er hat mich widernatürlich benutzt. Er hat gesagt, es sei meine Pflicht. Ich werde Zeit meines Lebens nicht wieder rein.«
    »Ist das alles? Mehr nicht? Ei, Margaret, das zählt doch überhaupt nicht. Es passiert häufig, das könnt Ihr mir glauben.«
    »Aber es ist gegen die Natur. Ich habe überall geblutet. Und manchmal habe ich mich geschämt, daß ich überhaupt noch lebe.«
    Wieso erzählte ich ihm das alles? Ich weiß es nicht zu sagen. Vermutlich, weil er Mitgefühl zeigte. Und dazu alt war – er machte mir keine Angst.
    »Margaret, Margaret, liebes Kind. Wißt Ihr denn nicht, daß sich Männer auf diese Weise lieben?«
    »Tun sie das? Wie kann man nur?«
    »Hatte er einen Freund, Margaret? Das würde eine Menge erklären.«
    »O Gott, einen widerlichen Freund, einen schmierigen, rotgesichtigen Freund. Das also haben sie allein im Schlafzimmer getrieben. Woher hätte ich das wissen sollen?«
    »Das, und zweifellos noch viel mehr«, gab er zurück.
    »Noch mehr? Bitte, nicht sagen. Es reicht auch so.«
    »Ihr seid ein eigenartiges Mädchen. Die meisten wären neugierig.«
    »Ich bin überhaupt nicht neugierig. Ich bin bloß furchtbar traurig. Ich habe Gott gebeten, mich zu sich zu nehmen. Ich hatte nichts, gar nichts mehr. Stattdessen sandte Er mir eine Gabe .«
    »Die Gabe , die meinen Fuß besser macht?«
    »Ja. Gott hat einen eigenartigen Sinn für Humor, davon bin ich überzeugt.« Meine Tränen trockneten allmählich. Ich wischte mir die Nase im Ärmel ab.
    »Margaret, wenn Ihr welterfahrener wärt, Ihr würdet um solch eine Nichtigkeit keine Träne vergießen. Kommt und setzt Euch neben mich und laßt mich ausreden, und ich verspreche Euch, Ihr werdet um derlei nie wieder weinen. Und dann nehmt Ihr auch die Mitgift von mir an, nicht wahr?« Er zog mich aufs Bett und wartete, bis ich mit Tränentrocknen fertig war, ehe er sagte: »Mit zunehmendem Alter, Margaret, werdet Ihr immer wieder feststellen, daß die Notwendigkeit uns zu Taten zwingt, die wir freiwillig nicht getan hätten. Mir scheint, Gutsein bedeutet nicht, daß man unberührt bleibt, sondern daß man unter schwierigen Bedingungen ehrenhaft handelt. Ich habe Euch nie wissentlich die Hand zu einer bösen Tat leihen sehen, Margaret, und ich habe Euch eingehender beobachtet, als Ihr ahnt.« Er blickte mir forschend in die Augen und setzte hinzu: »Das kann ich nicht von vielen Menschen behaupten, nicht einmal von mir selbst.« Dann lachte er verhalten.
    »Wißt Ihr, wieviel Anerkennung ich für meine Verbindungen zum Orient und vor allem für meine Bekanntschaft mit dem Sultan ernte? Wie sie mich beneiden und hassen, meine weniger einflußreichen Brüder! Sie sehen die Nachkommen seines Zuchthengstes in meinem Stall und sein Messer an meinem Gürtel und beneiden mich um die Geschenke, die wir vor vielen, vielen Jahren getauscht haben und um den Handel, den ich in Gang gebracht habe. Doch jener Fürst lebt viel ausschweifender als alle christlichen Könige und Prälaten, und Ihr könnt mir glauben, daß kein christlicher

Weitere Kostenlose Bücher