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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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und danach, was es Donnerstag zu Abend geben sollte, wenn sie Gäste hatten. Dann dachte sie an das, was sie gerade schrieb, und nahm sich vor, wieviele Seiten genau sie heute fertigstellen wollte. Dann merkte sie, es waren zuviel und berichtigte ihren Voranschlag. Schließlich blieb nichts mehr zu tun, als wirklich mit Schreiben zu beginnen. Es ging ihr durch den Kopf, wieviel Spaß es gemacht hätte, Bruder Gregory mit etwas wirklich Schockierendem in Harnisch zu bringen. Dann seufzte sie und griff erneut zur Feder.

    Wir heirateten in aller Stille, aber der Skandal war unvermeidlich. Die erwachsenen Söhne meines Mannes stießen sich an seiner Wiederheirat, und überall in der Stadt klatschte man, daß Roger Kendall am Ende doch senil geworden sei und seine Krankenpflegerin geheiratet hätte. Was natürlich bedeutete, daß eine Menschenmenge zugegen war, denn es kamen nicht nur die Freunde meines Mannes, sondern auch seine Feinde – weil sie alles weitertratschen wollten.
    »Habt Ihr die kleine Puppe vom alten Kendall gesehen? Ei, ich war bei der Hochzeit. Er ist ja völlig vernarrt in sie – ja, er hat völlig den Verstand verloren.«
    Mir kam die Hochzeitszeremonie seltsam und traumartig vor, denn bei den Worten mußte ich an jene erste Hochzeit denken, die solch ein böses Ende genommen hatte. Nicht einmal die sonderbare Absprache, die mein Mann und ich getroffen hatten, tröstete mich, und er bemerkte denn auch meine Blässe. Ich kam mir gefangen vor – gefangen in einer Ehe, die ich meinen Freunden und meinem Bruder zuliebe eingegangen war, und auch weil ich Angst vor dem Scheiterhaufen hatte. Ich hatte meine Freiheit verkauft, damit ich sie nicht gefährdete, weil sie mich kannten. Es war alles so bitter und ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe. Aber am Ende kam ich zu dem Schluß, daß Freiheit das Risiko des Scheiterhaufens wert sei, denn lange brennt man nicht, andererseits aber wollte ich nicht in alle Ewigkeit mit der Last herumlaufen, daß meine Unvorsichtigkeit allen Schaden zugefügt hatte, die ich liebte. Um ihretwillen beschloß ich, mich so zu benehmen, daß ich keinen Verdacht mehr erregte. Ich nahm nur zwei Dinge aus meinem früheren Leben mit: das Brennende Kreuz, welches ich immer trug, und Lion, der ohne mich nicht fressen wollte.
    Aber neue Kleider und eine luxuriöse Umgebung bekamen mir nicht. Ich schien in Master Kendalls Haus einfach zu vergehen. Ich konnte nicht mehr ruhig werden und das Licht herbeirufen, denn mir tat alles so weh. Ich ging neben meinem Mann wie ein Geist, wenn er mich zur Kirche begleitete, wo wir bei unserer Ankunft immer viel Aufsehen erregten. Mein Haar verlor den Glanz und fiel mir allmählich aus. Und eines Morgens wurde mir dann zur Gewißheit, was ich schon geahnt hatte: die Gabe war fort. Bald konnte ich das Bett nicht mehr verlassen; dann konnte ich nichts mehr essen. Immer tat mir der Magen weh, so als ob ich innen von Teufeln zerrissen würde.
    »Bitte, iß, mir zuliebe«, bat mein Mann, der neben mir auf dem Bett saß. »Ich dachte immer, du wärst nur traurig und würdest wieder munter werden, doch jetzt merke ich, daß du krank bist. Bitte, schwinde nicht einfach so dahin! Bitte! Sieh mich an. Ich bin schon viel dünner geworden. Ich habe nicht mehr so üppig gegessen, und die Gicht hat sich sehr gebessert! Eine Zeitlang schon kein Anfall mehr. Ich wußte, ich mußte dich damit verschonen. Gebrauche du deine ganze Kraft für die Genesung. Kannst du dich denn nicht selbst heilen?«
    Ich blickte ihn an und lächelte, denn Sprechen fiel mir zu schwer, und ich hielt seine Hand. Seine Zuneigung tröstete mich. Lion blieb immer bei mir, am Fußende des Bettes, so als ob er mich vor eine unsichtbaren Bedrohung schützen wollte. Dann nahm ich alle Kraft zusammen und flüsterte:
    »Schickt nach Hilde. Wenn sie nicht weiß, was mir fehlt, dann niemand.«
    »Und ich tue noch ein Weiteres. Ich schicke nach dem besten Arzt in London, Dottore Matteo di Bologna.«
    »Ein Italiener?« regte ich mich auf.
    »Ja, natürlich. Und sehr intelligent.«
    »Mit einem gesträubten, schwarzen Bart?«
    »Ja, den hat er.«
    »Dann ertrage ich seinen Anblick nicht, wie schlecht es mir auch geht. Das ist der Mann, den ich bei der reichen Dame getroffen habe – der Mann, der mich verraten hat, da bin ich ganz sicher.«
    »Sch, Sch. Ich habe mich erkundigt. Dich hat ein Engländer angezeigt. Und gut bezahlt hat er die da oben auch. Auf das Wort eines Ausländers hätten sie nichts

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