Die Stimme
– ei, der ist klüger als die ganze Inquisition zusammen. Woher wußte er denn, daß du so schnell herauskommen würdest?«
»Das ist eine lange Geschichte, aber wie gewöhnlich habt Ihr recht, Bruder Malachi.« Ich suchte mir meine Sachen zusammen und machte mich hastig wieder auf den Weg zu Kendalls großem Haus in der Thames Street. Als man mich in sein Schlafzimmer führte, war klar, daß er große Schmerzen litt. Er lag auf dem Bett, die Kleidung ganz in Unordnung, den schlimmen Fuß hatte er entblößt, denn dieser duldete keine Bekleidung. Der Fuß war rot und geschwollen. Die Tränen flossen ihm aus den Augen, und er biß in einen Ledergürtel, damit er vor Qual nicht laut schrie.
»O Master Kendall, wie habt Ihr damit heute nur das Haus verlassen können?« fragte ich, während ich meine Sachen auspackte. Als Antwort stöhnte er. Ich kniete mich hin und bekreuzigte mich. Während ich die Salbe auf den Händen verrieb, daß sie warm wurde, versetzte ich meinen Geist in jene besondere Verfassung, so wie ich es mir beigebracht hatte. All meine Probleme, all meine Gedanken lösten sich in nichts auf, und eine göttliche Verzückung ergriff von mir Besitz. Ich merkte, wie es in Kopf und Händen pochte, dann wurden sie warm. Ich schlug die Augen auf, und da schien das Zimmer in einem fast unmerklichen warmen, orangefarbenen Licht zu leuchten. Ich legte meine Hände auf den geschwollenen Fuß.
»O Jesus, vielen Dank! Ich meinte, es nicht einen Augenblick länger aushalten zu können, ohne wahnsinnig zu werden!« Seine Magd stopfte ihm Kissen in den Rücken, so daß er den Kopf heben und mich ansehen konnte. Die Rötung im Fuß ging schon zurück.
»Wahnsinnig werdet Ihr gewiß nicht, Master Kendall, aber vermutlich wart Ihr maßlos. Fetten, süßen Pudding mit Nierentalg gestern abend? Wein? Hammel?«
»Nein, nur ganz leichte Kost. Ich halte mich doch immer an Euren Rat. Lediglich Gans, Lerchenpastete, einen Weißwein – sehr leichten –, Käse, eine leckere lombardische Creme – ach, und dergleichen mehr.«
»O Master Kendall, die Schmerzen kann ich Euch wohl nehmen, aber Ihr werdet jedes Mal wieder krank, wenn Ihr so reichlich speist und trinkt.«
»Aber was bleibt mir denn sonst noch?« Er war betrübt Die Schmerzen waren vergessen, und als Belohnung für seine Leiden hatte er schon ein luxuriöses Essen geplant gehabt.
»Haferpfannkuchen? Wasser? Einen Bratapfel vielleicht? Fürwahr, arme Bauern leben besser als ich!«
»Ist Euch denn noch nie aufgefallen, daß arme Bauern keine Gicht haben?«
»Dazu leben sie auch nicht lange genug, drum. Das kommt von den Haferpfannkuchen, diesem ekligen Zeugs. Die verhungern doch, lange bevor sie Gicht bekommen können!«
»Ihr müßt Euch entscheiden«, sagte ich fest, »einfaches Essen oder Gicht, es liegt bei Euch.«
»Na gut, ich werde es mir überlegen. Ihr seid die einzige, bei der es plausibel klingt – und das ändert die Sachlage. Ei, was hat man mich doch jahrelang vergiftet und zur Ader gelassen, und nichts hat angeschlagen, außer daß ich noch mehr Schmerzen gekriegt habe. Ein schlimmer Fuß, dazu ein schlimmer Magen und schlimme Handgelenke, ich kann Euch sagen, mit Roger Kendall ist nicht mehr viel los. Rückt mir die Kissen ein wenig höher, bitte.«
Ich schob ihm die Kissen zurecht, während er mein Gesicht forschend betrachtete. Das Leuchten im Raum verblaßte.
»Ihr seht sehr traurig aus. Was haben Euch denn diese alten Böcke im Domkapitel gesagt?«
»Sie – sie haben gesagt, ich soll Wolle krempeln und spinnen wie andere Frauen und von der Geburtshilfe und dem Gesundbeten ablassen – und mich verheiraten.«
»Ja, und warum tut Ihr's nicht?«
»Ich muß mir den Lebensunterhalt verdienen, und wenn ich das tue, dann kann ich mich nicht viel bessern. Es geht einfach nicht. Ich bin schon bald wieder dort, und ein zweites Mal habe ich kein Glück.« Und schon wieder ergriff mich die Niedergeschlagenheit.
»Und warum heiratet Ihr nicht einfach? Andere Frauen haben nichts dagegen, sich von einem Mann ernähren zu lassen.«
»Ich kann nicht heiraten, ich kann einfach nicht. Die Ehe ist einfach gräßlich, und ich will nicht heiraten!«
»Ihr wollt nicht heiraten? Wie kann ein hübsches, junges Mädchen nur so denken. Warum um alles wollt Ihr bloß nicht heiraten?«
»Ich – ich – also, es liegt wohl daran, daß ich Männer nicht gut leiden mag«, stammelte ich. Mein Herzeleid war so groß, daß ich mit der Wahrheit nicht mehr
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