Die Stimme
Gefangener an seinem Hof, wie ich einst einer war, überlebt, ganz zu schweigen, daß er gedeiht und freigelassen wird, ohne daß er nicht viel mehr über die Welt erfährt, als er ursprünglich wissen wollte.« Ich blickte ihn neugierig an. Was für ein wunderlicher Mensch verbarg sich doch hinter diesem närrischen, fröhlichen Äußeren! Mir war, ich sähe über den Rand in einen tiefen Brunnen, und jählings, unerwartet blickte mich daraus ein Paar uralte Augen an.
»Was würdet Ihr sagen, Margaret, wenn ich Euch erzählte, daß ich einst jemanden kannte, so jung wie Ihr, der auf einer langen Handelsreise erfahren mußte, wie grausam die Welt ist, und dem bei seiner Rückkehr die Frau gestorben war, während die Kinder von seiner Mutter großgezogen wurden, und der nur noch Seufzen und Weinen ohne Ende, Gebet und Buße, Fasten und Pilgerfahrten kannte? Und alles um solcher Dinge willen, die er aus freien Stücken nicht getan hätte. Sagt mir, wie seht Ihr das?« Ich dachte lange und sorgfältig nach, ehe ich antwortete:
»Ich würde sagen, wenn Gott ihm vergeben hat, dann sollte er sich selbst auch vergeben, anderenfalls würde er sich in Hoffärtigkeit suhlen. Es ist besser, einen Fehler gutzumachen, als zulange darauf zu verweilen.«
»Genau meine Meinung, Margaret, Ihr seid wirklich ein kluges Mädchen und macht Euch mehr Gedanken als andere. Ich weiß, ihm ging das nicht im entferntesten so rasch auf. Erst als er herausfand, daß sein eigener Herrscher, unser seliger König, nicht viel anders lebte als der Sultan, da merkte er, daß dergleichen in der großen Welt kaum zählt, daß es eine Nichtigkeit und nicht einen Seufzer wert ist.«
Ich machte große Augen. Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Er sah mich so eigenartig an, schlau und nachsichtig zugleich.
»Margaret, kleiner Unschuldsengel, wollt Ihr denn nicht einsehen, daß Euer Kummer in den Augen der Welt nichts ist, überhaupt nichts? Und in Gottes Augen, ja, da habt Ihr Eure Antwort doch bereits erhalten, oder.«
»Ist das alles – alles wirklich wahr?« schluckte ich.
»Es ist wahr«, sagte Kendall schlicht.
»Aber – aber mir ist da gerade etwas eingefallen, ich kann sowieso nicht Nonne werden. Welches Kloster würde wohl eine Frau aufnehmen, die einen Widerruf wegen Ketzerei unterschrieben hat?«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.« Kendalls Stimme klang sachlich.
»Ihr könntet es mit der Ehe versuchen – beispielsweise mit mir. Mein Geld und mein Einfluß würden Euch schützen.«
»Nicht, daß ich etwas gegen Euch habe – das müßt Ihr mir glauben; Ihr seid – also, Ihr seid so furchtbar nett zu mir gewesen. Aber heiraten? Ich habe soviel Angst vor der Ehe, daß ich meine, ich sollte es nie wieder wagen.«
»Wißt Ihr eigentlich, daß die Hälfte aller Wittibe Londons für dieses Angebot ihr Herzblut geben würde?« Seine Stimme neckte mich. »Ei, ich bin alt – stehe praktisch schon mit einem Bein im Grabe, und meine Frau würde reich sein.«
»Kein Mensch heiratet aus einem so unehrlichen Grund.«
»Unehrlich, aber allgemein üblich. Ei, ich hatte vor gar nicht so langer Zeit eine Geliebte, die mich regelmäßig bat, sie zu heiraten. Sie war verrückt nach Edelsteinen. Ich überschüttete sie damit. Aber sie heiraten? Die gierige Schlampe hatte einen jungen Liebhaber. Sie hätten mich todsicher genauso vergiftet, wie den armen Tropf, der sie am Ende doch noch nahm.«
»Vergiftet? Liebhaberinnen? Was für ein abscheuliches Leben.«
»Ganz meine Meinung, kleine Margaret. Heiratet mich und heilt meine Gicht, und es soll Euch an nichts fehlen. Ich will jetzt ein gutes Leben führen, denn ich bin alt, und Gott blickt mir schon über die Schulter.«
»O Master Kendall, solch eine Krankenpflegerin käme Euch aber teuer zu stehen!«
»Krankenpflegerin? Nein! Keine Krankenpflegerin. Die kann ich anstellen. Betrachtet es einmal so. Ich bin reich geworden, weil ich eine Nase für verborgene Schätze habe. Ihr seid ein Schatz, Margaret, und ich bin einfach so schlau, daß ich zugreife.«
»Aber – es – wird nicht gehen.« Ich zerknäuelte einen Zipfel der Bettdecke und glättete ihn wieder. Er betrachtete mich eingehend, so pfiffig, wie ich ihn einen Levantiner betrachten sah, der Geld borgen wollte.
»Denkt Ihr an Eure – hmm – Pflichten?«
»Ja.«
»Und wenn ich Euch nun verspreche, vor einem Priester verspreche, daß ich nichts von Euch will, es sei denn, Ihr bittet mich darum? Wenn Ihr es nicht möchtet, so
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