Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
Lächelns. »Also beeil dich bitte und zeig mir, daß du gehorsam sein möchtest – und hör auf, dich unter der Bettdecke zu verstecken; ich habe keine Braut in der Decke gekauft.« Sein Anblick war mir unerträglich; ich verbarg mein Gesicht in der Überdecke.
    »Gehorsam heißt, gehorsam in allem. Nichts, was ein Mann in der Ehe tut, ist unschicklich. Verstehst du? Wieviel weißt du überhaupt?«
    Ich errötete wider Willen. Sie hätten einen schon in einer Kiste aufziehen müssen, damit man nicht einiges mitbekam.
    »Genug, wie ich sehe«, und damit zog er mir die Decke weg, und seine hellen Augen glitzerten. Nachdem er genug gesehen hatte, begann er fahrig vor sich hinzumurmeln:
    »Ei, das dürfte mir kein Tagewerk, sondern ein Nachtwerk werden, ein rechtes Nachtwerk.« Ich war bestürzt. Was um alles wollte er damit sagen? Zuhause war alles so anders.
    Im Stehen zog er sich den Kittel aus, so daß er in seinem langen, weißen Leinenunterhemd dastand. Er lief im Zimmer herum, als ob er sich zu etwas durchringen müßte. Dann zog er auch noch das Hemd aus, und da kamen seine ausgebeulten Leinenunterhosen zum Vorschein. Der gleiche Gürtel, der seine Unterhose hielt, hielt auch seine Bruch, die vorn an zwei langen Hosenträgern befestigt war. Ein Mann in Unterhosen und Bruch wirkt irgendwie komisch. Es ist einfach würdelos. Wie er so blinzelnd dastand, fing er an, mich zu belustigen. Noch lustiger fand ich es, als sich herausstellte, daß er als Mann soviel taugte wie ein ertrunkener Regenwurm. Irgendwie komisch, auf welche Weise ich vor meinen widerwärtigen ehelichen Pflichten bewahrt wurde! Er unternahm mehrere vergebliche Versuche, das zu tun, was sich ziemte, ehe er wütend ausrief:
    »Da hat doch der Teufel die Hand im Spiel! Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Jemand hat uns verhext!«
    Lachen wollte in mir hochblubbern, und es gelang mir nicht schnell genug, mein Gesicht zu verbergen. Er sah das Zucken um meinen Mund, fuhr zu mir herum, und in seinen aufgerissenen Augen loderte es:
    »Du bist die Hexe! Du, genau wie die andere! Aber dieses Mal lasse ich mich nicht betrügen, ich schlage dich, bis dir das Lachen vergeht, du schlaue, kleine Schlampe!« Er durchmaß das Zimmer und holte sich die Reitpeitsche, die auf der Wäschetruhe lag, kam schnellen Schrittes zurück und packte mich beim Arm. »Du mußt erzogen werden, Hausfrau«, sagte er mit einem Anflug seines kalten Lächelns, »und ich werde dich gebührend anlernen.«
    Ich möchte nicht weiter auf die Art seiner Erziehung eingehen, außer daß sie sehr schmerzhaft war. Und damals erfuhr ich auch einige neue und unangenehme Dinge über Master Lewis Small. Zum einen erregte ihn Blut. Als er sein Werk in Augenschein nahm, begann er vor Wollust zu zittern. Er hielt einen Augenblick inne, und seine Augen schnellten hin und her wie die einer Schlange, die eine Maus mustert, die sie gerade verschlingen will. Und dann warf er sich jäh wieder auf mich, und als er endlich fertig war, öffnete er ohne ein einziges Wort die Fensterläden und hörte sich die zotigen Glückwünsche seiner Freunde an, während dieses seltsame, eisige Lächeln seine untere Gesichtshälfte verzerrte. Danach wickelte er sich in die Überdecke, drehte sich um und schlief ein.
    In jener Nacht schlief er, als wäre nichts geschehen, und schnarchte dabei fürchterlich, während ich weinend im Bett aufsaß. Wieder und wieder fragte ich mich, warum ich, warum ich? Warum mußte er so weit reisen, mich ausfindig machen und mein Leben zerstören, wo es doch allein in dieser Stadt Dutzende von Mädchen gibt, die er heiraten könnte, Mädchen mit einer größeren Mitgift, Mädchen mit goldenem Haar? Warum wohl brauchte ein Mann wie er ein Mädchen vom Lande? Als Antwort auf meine unausgesprochenen Gedanken meinte ich, in der Stille des Raumes eine Art Seufzen zu vernehmen. Das Dunkel schien voll namenlosen Kummers zu sein.
    Am nächsten Morgen setzte sich Small vollkommen ausgeruht im Bett auf, obwohl ich mich nicht so gut fühlte. Aber das Schicksal schien beschlossen zu haben, daß die Entdeckungen kein Ende nehmen sollten. So war das bei Small – immer etwas Neues. Als ich das Gesicht vor ihm verbarg, sagte er kalt:
    »Es gehört zu den Pflichten einer Ehefrau, früh aufzustehen und ihren Mann zu bedienen. Faulheit ist eine Todsünde. Eine Frau sollte nie mutwillig ihrem von Natur aus unreinen Wesen noch weitere Sünden hinzufügen. Muß ich dich bestrafen, um dich vor deiner

Weitere Kostenlose Bücher