Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
angeborenen Schlechtigkeit zu bewahren?« Als ich mühsam hochkam, beugte er sich aus dem Bett und holte sich die Peitsche vom Fußboden, wo er sie am Abend zuvor hatte liegenlassen.
    »Und jetzt«, sagte er ruhig und mit einem freundlichen Lächeln, »jetzt möchte ich, daß du als Zeichen deines künftigen Gehorsams niederkniest und die Rute küßt und mir dankst.«
    »Nein«, flüsterte ich und wich rückwärts in die Ecke. Dieses Mal sollte er mich nicht so leicht erwischen. Ich würde auf ihn losgehen und ihm die Augen auskratzen, sollte er sich wieder auf mich stürzen.
    »Nein?« sagte er, ohne die Stimme zu erheben. »Muß ich dir erst etwas brechen? Oder reicht es, wenn ich dir erzähle, was ungehorsamen Ehefrauen blüht? Ich bin ein sehr nachsichtiger Ehemann, denn ich möchte nicht, daß du den Sohn verlierst, den du zweifellos seit letzter Nacht trägst. Doch wenn ich nicht so rücksichtsvoll wäre, könnte ich dir beide Beine brechen. Das ist nämlich schon vorgekommen, und der Mann, der das getan hat, wurde als hochherzig gepriesen, weil er zuvor einen Chirurgen bestellt hatte, der die Beine seiner Frau wieder einrichten sollte. Doch so konnte sie ihm natürlich nicht dienen, wie?« fragte er und spielte dabei mit der Peitsche. Mir standen vor Entsetzen die Haare zu Berge.
    »Aber ich bin Christ, ein zivilisierter Mensch, der verzeihen kann. Ich vergesse diesen Ungehorsam, wenn du dich besserst. Du wirst es sehr gut haben. Andere Frauen werden dich beneiden. Doch wenn du weiter bockig bist – weißt du eigentlich, wie viele Möglichkeiten es gibt, sich einer eigensinnigen Frau zu entledigen? Ich werde dich für verrückt erklären lassen, wenn dein Trotz mir mißfällt. Und wenn du erst ein paar Wochen in der Dunkelheit nur in der Gesellschaft von brabbelnden Irren angekettet gewesen bist, dann bist du wirklich verrückt. Und ich bin frei und kann dich dort vergessen und mir eine fügsamere Frau suchen.« Wieder dieses Lächeln. »So, jetzt hast du es dir gewiß überlegt und küßt diese Rute?« Ich starrte ihn entsetzt an. Auf dergleichen wäre ich nie, meiner Lebtage nicht gekommen.
    »Mach schon«, sagte er. »Laß dir verzeihen, und ich kaufe dir ein neues Kleid.« Mein Gott, wie schimpflich. Lieber nackt herumlaufen.
    »Einen Schritt hast du schon gemacht, mach noch einen. Es sind ja nur noch drei«, sagte er mit diesem furchtbaren, kalten Lächeln. »Knie nieder«, half er nach. Er beobachtete jede Bewegung mit seinen eisigen Augen. »Ja, war denn das so schlimm? Neige den Kopf und küsse sie.« Er streichelte meinen gebeugten Nacken. »Siehst du, wie einfach es ist? Sei mir zu Gefallen und trage mir Söhne und besorge mein Haus, und ich sorge für dich. Wenn du dich aber als störrisch und ungehorsam erweisen solltest, dann eben nicht.« Sodann hieß er mich aufstehen und rief ruhig seinen Diener herein, so als wäre nichts geschehen.
    Als nun sein Kammerdiener eintrat, um ihn zu barbieren, da zerplatzte meine allerletzte Illusion, wenn ich überhaupt noch eine gehabt hatte. Vermutlich war ich neugierig, und so sah ich aus der Ecke zu. Zunächst half der Mann ihm ins Hemd, band ihm die Schnabelschuhe zu, nahm dann seinen Leibrock und den Überrock vom Haken, wo sie hingen, strich sie glatt und brachte sie in Ordnung. Dann legte er einen Eisenstab mit langem Griff ins Feuer, um ihn zu erhitzen, während er Small rasierte. Als das getan war, nahm er den geheimnisvollen Stab, hielt ihn an Master Smalls Kopf und wickelte eine Haarsträhne drum herum. Brandiger Geruch erfüllte das Zimmer. Als er das Haar wieder abwickelte, war es vollendet gelockt! Noch eine Drehung, noch mehr Gestank, und die nächste Locke war fertig. Und in kurzer Zeit bauschte sich Reihe um Reihe ebenmäßiger Locken um Smalls Kopf. Ich glotzte wie blöde. Doch damit nicht genug, der Barbier holte einen kleinen Topf und tauchte den Finger hinein. Flink und gewandt verstrich er den Inhalt auf den Wangen seines Herrn, und so entstand vor meinen Augen aufs Neue jenes blühende Aussehen, welches die Frauen im Dorf so angestaunt hatten. Als Small sich in einem kleinen bronzenen Handspiegel genug bewundert hatte, ertappte er mich beim Glotzen und fuhr mich an:
    »Genug gesehen, du rückständige, kleine Bauerndirne? Raus jetzt, ehe ich dich wieder lehren muß, wo dein Platz ist!«
    Ich verzog mich schnell in die Küche und wollte mich anschicken, die vielen Dinge zu lernen, die ich wissen mußte, um sein Haus und sein Gesinde

Weitere Kostenlose Bücher