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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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der Burg zu erringen. Er lud ihn zu einem erlesenem Essen ein, putzte mich in einem farbenprächtigen, tief ausgeschnittenen Kleid heraus und setzte mich neben den alten Kerl. Vermutlich dachte er, der Alte wäre zu kurzsichtig, als daß er bemerkte, wie blaß und häßlich ich geworden war. Mochte er sich doch daran ergötzen, mir mit seinen Triefaugen in den Ausschnitt zu schielen. Schließlich war der Haushofmeister ein Ritter, wenn auch kein großer, und hatte ein paar Mal Gelegenheit gehabt, mit dem König persönlich zu sprechen, als dieser der Burg einen Besuch abstattete. Einem solchen Mann mußte man um den Bart gehen, zudem war er im Begriff eine sehr einträgliche Bestellung aufzugeben. Doch bei dieser Gelegenheit hatte sich Small verrechnet. Der Haushofmeister, dieser arme Tattergreis, erregte sich dermaßen und war so abgelenkt, daß sein Löffel den Mund verfehlte und er sich die Bratentunke vorn über sein prächtiges Gewand kleckerte. Small zeigte sich der Situation gewachsen. Zwar hing er an seiner Kleidung, doch unverdrossen stellte er den Becher hin und goß sich mit einer schwungvollen Bewegung mit dem Löffel ebensoviel Tunke über sein Vorderteil und bot alsdann dem Kerl seine Serviette an! Als ich ihn die kalte Grimasse ziehen sah, die für ein Zeichen von Freundlichkeit gehalten wurde, da mußte ich mir eingestehen, gar nicht schlecht! Inzwischen hatte ich mich dank Small zu einer Kennerin in der Kunst der Liebedienerei entwickelt; doch dieses Mal hatte er sich selbst übertroffen, sein artistischer Salto verdiente Beifall.
    Als der Haushofmeister seine Besuche wiederholte, hätte Woodham mehr zum Schutze seines Lebensunterhalts tun müssen. Aber nein, er fühlte sich meines Mannes so sicher, daß er sogar noch habgieriger wurde. Am Ende trieb er es zu weit und gab sich selbst den Rest. Er tat etwas, daß kein berufsmäßiger Parasit tun darf – er demütigte seinen Gönner vor anderen, wenn auch nur versehentlich. Einmal ist da nämlich schon genug, und mein Mann gehörte zu den Menschen, die auch nicht die allerkleinste Beleidigung oder Peinlichkeit vergeben, ganz gleich ob nun echt oder eingebildet.
    Anscheinend gehörte Woodham zu der Sorte, die sich nicht mit einem Bett begnügte, wenn sie zwei haben konnte. Als er eines Abends genug im Vorderzimmer geschäkert hatte, hörte ich im Halbschlaf neben lautem Schnarchen auch das leise Geräusch der sich öffnenden Zwischentür. Noch bevor ich die Augen aufgemacht hatte, spürte ich schon eine schwere Last auf der Bettstatt und trunkene, tastende Hände, die mir unter der Bettdecke über den Leib fuhren.
    »Was in Gottes Namen?« rief ich, setzte mich kerzengerade auf und erkannte das aufgedunsene Gesicht von Smalls Kumpan.
    »Alles in Ornung – er hat nichs dagegen – wieso nich, issa nich schlimm.« Er lallte, und sein Atem stank.
    »Runter! Runter!« schrie ich und weckte damit die Kinderfrau.
    »Aber, Master Woodham, was tut Ihr da? Aufhören, sofort aufhören?« Die Kinderfrau hatte sehr entschiedene Ansichten über das, was sich schickte.
    »Sie willes – alle wolln sie's. Du willses doch?« Ich trat mächtig zu und stieß ihn aus dem Bett. »Und ich will es nicht, du Hurenbock, du!« zischte ich. Mittlerweile hatte der Krach die Männer im Untergeschoß geweckt. Da es ihnen geraten schien, nicht einzugreifen, schoben sie sich die Treppe hinauf und drängelten sich in der offenen Tür, wollten besser sehen, grinsten stumm und knufften sich gegenseitig. Jetzt war auch der kleine Junge wach geworden und starrte uns alle mit seinen unbeseelten Augen an. Nur mein Mann schnarchte weiter mächtig vor sich hin. Woodham, dessen schlichtes Gemüt nicht mehr als einen Gedanken zur Zeit fassen konnte, stand auf und wollte mit blöde lüsterner Miene wieder auf mich los. Es war eine warme Nacht, und so hatte er, wie alle im Haus, splitterfasernackt geschlafen. Der Halbmond erhellte den Schauplatz zur Zufriedenheit der Zuschauer.
    »Ein klein Kuß – das magsu –« Er streckte die Arme aus. Der Mondenschein machte, daß sein Leib so hell erstrahlte wie der einer Schnecke. Von der Treppe her hörte man respektloses Geflüster.
    »Ob er ihn wohl hochhalten kann?«
    »Ich glaube nicht, daß er ihn überhaupt hochkriegt, der alte Scheißer, der.« Der ganze aufgestaute Haß und die Wut, die ich seit meiner Hochzeitsnacht gespürt hatte, entluden sich wie Gift.
    »Dich werd ich küssen, du Mistkerl«, rief ich und trat ihm, so hart ich nur konnte,

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