Die Stimme
das in einer Fußbodenritze auf- und abkrabbelt. Aber sein Tun und Treiben machte mir allmählich klar, daß es selbst unter den Wohlhabenden Abstufungen von Wohlhabenheit gibt und daß Lewis Small zu jenen kleinen Kreaturen gehörte, die dazu verdammt sind, für immer vor der Tür der Hochgestellten zu warten und zu hoffen, daß sie durch einen glücklichen Zufall in Kleidung oder Umgang in die Kreise Höherstehender aufgenommen werden. Genau dieses Verlangen, zu den Hochgestellten zu gehören, bestimmte jede seiner Handlungen. Mein Gott, wie sehr er doch aufsteigen wollte! Wie ein emsiges Insekt, das eine zu große Krume mitgeschleppt hat und diese nun in sein Loch stopfen will, hob und schob und zog und zerrte er – aber vergebliche Liebesmüh. Seine endlosen, nutzlosen Anstrengungen, sich um jeden Preis zu verbessern, ließen ihm weder Ruh noch Rast und erklärten viel Widersprüchliches in seinem Leben.
Als ich erst einmal hinter dieses Prinzip gekommen war, da stellte ich fest, konnte ich ihm wie einem Fremden von außen zusehen, und das machte die Dinge, für die ich mich als seine Frau sonst wohl geschämt hätte, zu einem Born unaufhörlichen Interesses. Es bereitete mir ein gewisses, hämisches Vergnügen, seine endlosen Anstrengungen mit seiner zu großen Krume zu studieren und zu wissen, daß sie nie ins Loch passen würde. Eine hochgestellte Persönlichkeit ließ eine Andeutung fallen, und schon hatte er die unfehlbare Leitschnur, und da hochgestellte Persönlichkeiten viele Meinungen haben, war er ständig in Bewegung, probierte dies aus, probierte das aus. Zur Messe führte er mich in Blau vor und mußte dann feststellen, daß grün mehr in Mode war. Und so ging ich denn in Grün, obwohl mein Teint dadurch gelb wirkte. Als der Meister der Händlerzunft seine Geschäfte während der Messe abwickelte, Bittsteller empfing und laut geflüsterte Befehle erteilte, da tat es Small ihm nach. Als Frömmigkeit en vogue war, lag Small auf den Knien und verdrehte die Augen gen Himmel. Mal waren seine Ärmel länger, mal kürzer, die Schnäbel seiner Schuhe spitzer, und dann mußte er sie wieder abschneiden; seine Manieren und die Gerichte auf seinem Tisch wechselten entsprechend der Neuigkeiten, die der Modewind ihm zublies.
Doch mein eben entdecktes Interesse an seinen Aktivitäten bei Tage vermochte es nicht, die Schrecken der Nacht zu lindern. Meine neuen Kleider schlotterten an mir, und wenn ich mein Haar kämmte, schien es den Glanz verloren zu haben. Eine Nichtigkeit, doch ich kam mir dadurch wie jemand anders vor. Wenn ich mir die Zöpfe aufsteckte, meinen Schleier ordentlich darüberlegte und dabei in den kleinen Bronzespiegel blickte, dann meinte ich, daß mein Gesicht allmählich die Züge einer Anderen annahm. Einer anderen Frau, die mich tief bekümmert, bleich und mit in den Höhlen liegenden Augen daraus anstarrte. Zuweilen war ich so müde, daß ich am hellichten Tag einschlief wie eine alte Frau, und dabei war ich doch jung. Des Nachts warf ich mich hin und her und schwitzte. Da war etwas, etwas war da in der Dunkelheit. Ich meinte zu träumen, doch manchmal war ich wach und starrte vor mich hin, oder träumte, ich sei wach und starrte vor mich hin – wer kann das schon auseinanderhalten.
Dann schlugen seine Bemühungen für eine Weile eine andere Richtung ein, eine, die mir, solange sie anhielt, Erleichterung verschaffte. Anscheinend hatte Small mit angehört, wie man einen bedeutenderen Kaufmann als ihn wegen seiner Liebe zur Gelehrsamkeit pries, welche ihm ›Vornehmheit des Charakters‹ verliehe. Lewis Small aber rechnete mit Kerbhölzchen ab, und wenn er Briefe geschrieben oder vorgelesen haben wollte, bezahlte er dafür einen Schreiber wie die meisten, denn er konnte kaum seinen Namen schreiben. Kurzum, er hatte nicht mehr Gelehrsamkeit, oder Liebe dazu, als ein alter Stiefel, und was viele bei ihm für Klugheit hielten, waren in Wahrheit keine hohen Geistesgaben, sondern gemeine Verschlagenheit und Schläue, nur bis aufs Äußerste vervollkommnet. Und so nahm er denn einen armen Priester als Vorleser in Dienst, der ihm abends die Zeit mit hehren und heiligen Werken angenehm vertreiben sollte, und ließ das in der Stadt ausstreuen. Während der Priester vorlas, musterte mein Mann seine Fingernägel oder den Saum seines Gewandes oder blickte so abwesend, daß ich wußte, er überlegte sich gerade einen gerissenen Handel. Doch die Lesungen waren nicht verschwendet. Ich zog daraus viel
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