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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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in eine Stelle, wo es am meisten wehtun würde. Er knickte aufheulend zusammen, und von der Treppe her lachte es im Chor.
    Bei diesem neuerlichen Lärm konnte auch mein Mann nicht mehr schlafen, er kam zur offenen Tür herein, das Laken um sich geschlungen. Woodham rollte sich auf dem Fußboden hin und her, und Wut- und Schmerzenstränen strömten ihm über die Wangen. Über ihm stand ich, rasend vor Wut. Als Lewis Small die Situation erfaßte, ärgerte ihn vor allen Dingen die Gegenwart so vieler Zeugen und die allgemeine Heiterkeit, die sie offen zeigten. Wenn mein Mann etwas haßte, dann ausgelacht zu werden.
    Woodham blickte zu ihm hoch und sagte zähneknirschend:
    »Frauen – sind – nicht mehr – in Mode!« Schallendes Gelächter.
    »Bedauerlicherweise bist du nicht mehr Mode, mein Freund«, gab mein Mann zurück. Es war eine der wenigen würdevollen Antworten seines Lebens. »Zieh dich an und geh auf der Stelle.« Von der Treppe erscholl Beifall.
    Wie mein Mann dann am Morgen bemerkte, war es auch das Beste so, denn sein hochvermögender Freund, der Haushofmeister, war der Meinung, daß eine vielfarbige Bruch der Würde entbehre und einem Geschäftsmann ein langes Gewand am besten anstünde. Außerdem war sein kurzes Wams ganz voller Tunkenflecken, man würde es weggeben müssen…
    Danach änderte sich einiges, denn nun genoß ich die herzliche, verschwörerische Zuneigung aller Mitglieder des Haushalts, denn, so hörte ich den Stallknecht ein paar Wochen später sagen:
    »Mistress Margaret ist eine gute Frau, die mit einem schlechten Mann verheiratet ist.«

    Aber ich bin noch immer nicht auf das Rätsel meiner Ehe eingegangen, welches sich mir erst löste, als Woodham uns verlassen hatte. Denn nun mußte ich natürlich ins Bett meines Mannes im Vorderzimmer zurück, und gleich am ersten Abend nach Woodhams Fortgang begannen die Alpträume wieder. Mitten in der Nacht, während ich mich hin- und herwarf und versuchte, irgendwie Schlaf zu finden, kehrte der alte Traum wieder. Ich setzte mich auf und sah, wie sich das unbestimmbare Etwas unter den Dachbalken bewegte. Es war ein dunkles Ding, das sacht hin- und herschaukelte. Und dieses Schaukeln hatte etwas außerordentlich Entsetzliches an sich, denn eigentlich hätte es eine anmutige Bewegung sein sollen, gleichsam wie ein Vorhang, der im Winde weht. Nach und nach konnte ich eine Form ausmachen. Es war ein Gesicht – das gräßliche Gesicht einer Frau! Es leuchtete bläulich, und an seinen Schläfen klebten glatte, dunkelblonde Strähnen. Die Augen quollen gräßlich aus einem aufgedunsenen Gesicht. Eine scheußlich geschwollene, schwärzliche Zunge stak aus dem Mund heraus. Sie war erdrosselt worden.
    Sacht schaukelte das Gesicht im freien Raum unter den Dachbalken, und seine hervorquellenden Augen schienen mich anzusehen. Ich stieß einen Schrei aus – ich glaube, ich sagte im Traum: »Gott steh mir bei!« und als ich die Augen aufschlug, saß ich im Bett und zitterte heftig. War da ein schwaches Leuchten unter den Dachbalken, wo in meinem Traum das Gesicht gewesen war? Neben mir schnarchte mein Mann ungerührt vor sich hin. Ihn schien nichts zu stören, weder im Schlaf noch im Wachen. Er träumte nie. Ich wußte, auch wenn hundert schaukelnde Gesichter im Zimmer wären und alle seinen Namen riefen, es würde ihm nicht eine Sekunde seines Schlafes rauben.
    In den darauffolgenden Nächten sah ich das erdrosselte Gesicht wieder. Manchmal wehte das Haar, und manchmal klebte es daran, als wäre es naß. Doch immer starrten die Augen mich an. Ich merkte, daß ich langsam wahnsinnig wurde.
    Entweder wahnsinnig, oder in dem Raum war eine Art Dämon. Ich hatte noch nie einen Dämon gesehen, wenigstens keinen richtigen. Vater jedoch etliche. Sie waren sehr groß, hatten Hörner und einen Flammenatem und lange Klauen und Ziegenfüße – kurzum, sie waren genauso wie Dämonen sein sollen. Noch nie hatte ich von einem weiblichen Dämon gehört, der nur aus Kopf bestand. Also war ich vielleicht doch wahnsinnig? Jetzt konnte mich Master Small tatsächlich für immer im Dunkeln einsperren.
    In dieser Stimmung verlor ich allmählich die Selbstbeherrschung und redete, was mir gerade in den Sinn kam. Und als mich dann am Morgen Berthe fragte, wie es mir ginge, sagte ich obenhin:
    »O, ganz gut, wenn mich der erdrosselte Kopf nur nicht immer mit seinem Gestöhne aufwecken würde.« Sie bekreuzigte sich. »Hältst du mich für wahnsinnig? Ja, ich bin richtig schön

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