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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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besorgen zu können.
    Das war keine leichte Aufgabe für ein Mädchen frisch vom Lande und eben vierzehn und einen halben Lenz. Ich trat ein und stand verlassen am Herdfeuer herum und sah wahrscheinlich genauso verloren aus, wie ich mir vorkam, und zu schüchtern war ich auch, als daß ich zu fragen gewagt hätte, was ich tun mußte. Die Köchin ließ von ihrer Arbeit ab und baute sich vor mir auf, und die Mägde scharten sich stumm um sie. Nachdem sie mich sehr lange gemustert hatten, so als wolle sie mich einschätzen, begann sie, mir auf eigenartig sanfte Weise den Haushaltsablauf zu erklären und mir zu zeigen, wo sich alles in der Küche befand. Und so kam es, daß ausgerechnet das Gesinde mir beibrachte, wie man auf dem Markt die richtigen Mengen für den Haushalt einkauft, woran man verdorbenes Fleisch und verfälschte Waren erkennt, wie man ein großes Essen plant, Wäsche näht und ausbessert und mit dem großen Schlüsselbund umgeht, das ich nun an meiner Mitte trug. Viele der Vorräte, beispielsweise die Gewürze, wurden, wie auch die Lagerräume unten und die Truhen mit den Wertsachen, fest unter Verschluß gehalten. Es war alles ganz, ganz anders als auf dem Lande.
    »Was Salz und Zucker angeht, da ist auf die Köchin kein Verlaß«, sagte die Kinderfrau. »Sie stiehlt.«
    »Was Wein angeht, da ist auf die Kinderfrau kein Verlaß, sie trinkt«, sagte die Köchin. Beide Frauen waren sich jedoch darin einig, daß man alles Eßbare vor den Lehrlingen und Knechten verschließen mußte und daß unsere Hauptmahlzeit spätestens um halb elf Uhr morgens auf dem Tisch zu stehen hatte, sonst würde der Himmel einfallen. Und so machte meine Ausbildung als Hausfrau Fortschritte, bis ich die Haushaltsgeschäfte recht gut allein führen konnte. Ich stürzte mich aber auch in diese Arbeit, was das Zeug hielt, denn Kummer wird durch Müßiggang nur schlimmer.
    Aber die Arbeit vermochte nichts gegen die Schrecken der Nacht. Ich konnte das Zimmer oben einfach nicht ertragen. Ich bildete mir ein, es wäre etwas darin. Etwas Unsichtbares, das mich jedes Mal beim Eintreten mit einem seltsamen, schweren Kummer erfüllte. Bei Tage versuchte ich herauszufinden, was es war, wenn nämlich die Dunkelheit und meine Ängste das Bild nicht trübten. Tagsüber hatte das Zimmer nichts Entsetzliches an sich – keine seltsamen Blutflecken, kein fauliger Geruch, der auf irgendeine böse Tat hindeutete, die hier verübt worden war. Das Zimmer war sauber und schön ausgestattet. Die Wände waren reinlich weiß getüncht, und nirgendwo hingen Spinnweben von den Dachbalken herab. Auf dem Boden lagen frische Binsen ausgebreitet, dazwischen hatte man lieblich duftende Kräuter gestreut. Ordentliche, eiserne Kerzenhalter spendeten abends Licht. Mehrere, eher kleine, leuchtend farbige Wandbehänge aus Wolle ließen keine Kälte durch, und gut schließende Fensterläden hielten die kühlen Nachtwinde davon ab, durch die unverglasten Fenster ins Zimmer zu blasen. Ein paar gedrungene Truhen, von denen eine die Kerbhölzchen und Dokumente meines Mannes enthielt, und ein Tisch, an dem er seine Abrechnungen machen konnte, vervollständigten die Einrichtung. Wenn sich das Zimmer im Haus eines anderen Mannes befunden hätte, es hätte mir direkt gefallen können.
    Zu meiner Erleichterung schlief mein Mann die zweite Nacht auf der Stelle ein, ohne mich zu belästigen, und ich lag lange wach und blickte durch die halb geöffneten Bettvorhänge in einen Winkel der Zimmerdecke. Ich warf mich in jener Nacht hin und her und träumte von etwas im Raum, das ich nicht genau benennen konnte. Beim Aufwachen am nächsten Morgen fühlte ich mich wie zerschlagen, mein Gesicht war blaß, und unter meinen Augen lagen dunkle Ringe. Auch als die Ringe von Tag zu Tag dunkler wurden, bis meine Augen schon tief in den Höhlen lagen, machte niemand eine Bemerkung. Mittlerweile war ich durch Schlafmangel und die nächtlichen Aufmerksamkeiten meines Mannes erschöpft. So trübselig und qualvoll hatte ich mir mein Leben gewiß nicht vorgestellt, und allmählich wünschte ich, ich würde krank werden und sterben.
    Der einzige, dem das nicht aufzufallen schien, war mein Mann, der mit der gleichen kalten Energie wie immer seinen Geschäften nachging. Rührte denn nichts, rein gar nichts sein Herz? Ich fing an, ihn zu beobachten, versuchte herauszufinden, welche geheimen Dinge ihn wohl anrührten. Aber das war so vergebens, als wollte man die Gedanken eines Insektes herausfinden,

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