Die Stimme
Nicht im mindesten, Sir William. Mir nach.« Und schon hatte er Sir William um die Ecke, eine schäbige, schmale Straße entlang und hinein in eine der zahlreichen Schenken gezogen, die er kannte. Ein Wort zur Gevatterin in der Küche, und er bekam einen Eimer Wasser und ein altes Handtuch. Er reichte Sir William den Eimer so elegant, als wäre er eine Silberschüssel, und das Handtuch lag über seinem Arm, wie es sich gehörte, so wie er einem Herrn bei Tisch aufgewartet hätte, der sich säubern wollte. Dazumal war Bruder Gregory ein sehr guter Schildknappe gewesen.
»Vorsicht«, sagte er, half Sir William über die schlummernden Leiber einiger Zecher des vorherigen Abends im Hauptraum hinweg und setzte sich mit seinem Begleiter auf einen der besten Plätze dicht am Feuer. Binnen Minuten näherte sich ein Mann mit Schusterschürze ihrer Bank.
»Ja, da hab ich aber Glück gehabt!« sagte er zu Bruder Gregory. »Ich hab gar nicht gewußt, daß heute Euer Tag im Einhorn ist. So ein Glück aber auch.« Sir William sah verdutzt aus. »Also, Ihr wißt doch«, fuhr der Mann fort, »ich brauch' es auf der Stelle. Auf der Stelle. Abends muß sie es haben. Was wollt Ihr dafür?«
»Heute ein Tauschgeschäft«, sagte Bruder Gregory. »Ale für zwei.« Er zog die Bank näher an den Tisch heran, stellte sein Tintenhorn auf die ausladende Tischfläche und zog das Blatt Papier aus den Tiefen seines Gewandes. Die Heldentaten des Morgens hatten ihm kaum etwas anhaben können. Er glättete es auf dem Tisch, fegte jedoch zunächst die Brotkrümel beiseite. Sein Gesicht wirkte im Schein des Feuers ernst und heiter. »Also«, sagte er in ruhigem, geschäftsmäßigem Ton, »welche Augenfarbe?« Während der Mann redete, schrieb Bruder Gregory in seiner schönen, kleinen Handschrift. Dann las er dem Kunden die Frucht seiner Bemühungen mit todernstem Gesicht und gemessener, wohltönender Stimme vor, und nur in seinen Augen glänzte es dabei ironisch.
»Tadellos, tadellos!« sagte der Mann, während Sir William das Geschehen mit wachsender Verblüffung betrachtete. Kaum hatten sie dem Ale etwas zugesprochen, da stand auch schon der Lehrling eines Steinmetzen da und verhalf ihnen zu einem Laib Brot. Drei Gedichte später stießen Bruder Gregory und Sir William vor den Resten eines sehr umfangreichen Frühstücks einen zufriedenen Seufzer aus.
»Ich wußte gar nicht, daß du derlei kannst«, sagte Sir William und deutete auf das Tintenhorn und den Rest des Blattes Papier. »Wo um alles hast du das gelernt?«
»Gedichte machen? Ach, das war ein Steckenpferd. An der Universität von Paris ist Verseschmieden aus dem Stegreif die ganz große Mode. Zuvörderst habe ich mich natürlich der Philosophie gewidmet.«
»Paris? Mitten im Herzen des Feindes, Gilbert? Schlimm genug, daß du deinem Vater nicht gehorcht hast – doch seinem Namen im Ausland Schande zu machen…«
»Oh, ich habe ihm sehr wohl gehorcht, Sir William. Schließlich hat er mir nur verboten, nach Oxford zu gehen. Und was seinen Namen anbetrifft, so habe ich den nicht benutzt. Im Augenblick lassen sie in Paris ohnedies keine Engländer zu. Aber viele Fragen stellen sie auch wieder nicht. Außerdem ist das Reich eines Gelehrten die ganze weite Welt.«
»O Gilbert, Gilbert.« Der ältere Mann schüttelte den Kopf. »Nur weil du Gottes Gebot dem Buchstaben nach befolgt hast, heißt das noch lange nicht, daß du es nicht im Geiste gebrochen hast. Du weißt, nach dem Willen deines Vaters solltest du Soldat sein.«
»Sir William«, sagte Bruder Gregory ernst, »ich bin nicht mehr achtzehn, und die Berufung zum Dienst in der Kirche ist höher anzusetzen als der Wille des Vaters. Das wißt Ihr doch.«
»Ebenso wie ich weiß, daß es deine Pflicht ist, ihm zu gehorchen, und daß sich daran dein Leben lang nichts ändert. Du kannst dich deiner Pflicht nicht durch Psalmensingen entziehen, Gilbert. Er wäre gänzlich im Recht, wenn er ein halb Dutzend mannhafte Kerle ausschickte, um dich nach Hause zu schleifen und dich dann bei Wasser und Brot im Keller einzusperren, bis sich dein Kopf etwas abgekühlt hat.«
»Was er mir oft genug zu verstehen gegeben hat«, sagte Bruder Gregory trocken. »In puncto Sohnespflicht zieht das Argument nicht recht.«
»Und das hier«, sagte Sir William mit einer umfassenden Handbewegung, als wollte er die gesamte Schenke beschuldigen, »ist auch nicht gerade ein durchschlagendes Argument für die Religion. Sag mal, fällt dir denn nichts Besseres
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