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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wenn einer nicht einzusehen vermochte, daß er selbst einer tüchtigen Portion Demut bedurfte, dann der alte Mann. Vater würde bis zur Erschöpfung brüllen und in einem Anfall von Wut mit den Möbeln in der Diele herumwerfen. Doch am Ende würde ihm das guttun. Schließlich konnte das Wissen um das höhere spirituelle Beispiel des Sohnes und um dessen redlichen Wunsch, sein Leben im Gebet für seines Vaters Seele zu verbringen, ihn nur läutern, auch wenn er solch einen selbstlosen, spirituellen Akt weiß Gott nicht verdiente. Bei dem Gedanken war Bruder Gregory rundum wonniglich zumute.
    Margaret erschrak, als sie Bruder Gregory leise vor sich hinsummen hörte, während er seinen Federkasten und das Tintenhorn bereitmachte. Er hatte es sogar geschafft, das Haus zu betreten, ohne daß er jemand angeknurrt hatte, und bislang hatte er auch nicht einen mürrischen, zornmütigen Blick in ihre Richtung geworfen. Sie wußte jedoch, daß dieses nicht von Dauer sein konnte. Was er auch zu dem Würstchenverkäufer gesagt haben mochte, ganz hoch oben auf seiner Liste der verbesserungswürdigen Menschen stand nun einmal Margaret, und irgend etwas würde ihn schon daran erinnern.

    Das erste, an was ich mich erinnere, nachdem mein Mann mich unter dem Baum hatte liegenlassen, war ein dumpfes Geräusch, das sich in meine Träume hineindrängte und wieder nachließ. Wurde da etwas zerrissen oder mitgeschleift – ich konnte es nicht recht ausmachen. Manchmal hielt es inne, und manchmal setzte es wieder ein.
    »Pferde, ich höre Pferde. Kommt mein Mann etwa zurück?«
    »Schsch, schsch«, antwortete die Stimme einer Frau. »Dir geht es noch nicht gut; schlaf du nur weiter.«
    »Ich höre etwas. Ist das mein Kopf?«
    »Nein, nur der Schrotkuchen, den ich mache«, antwortete die Stimme. Und dann konnte ich in einem rauchgeschwärzten Raum verschwommen die Gestalt einer älteren Frau ausmachen, die in einer Handmühle Getreide mahlte.
    Das dumpfe Geräusch der mahlenden Steine setzte erneut ein, als die Frau gleichmäßig die Kurbel drehte.
    »Eins steht fest – meine Getreidemühle brauche ich jetzt nicht mehr vor dem Sheriff zu verstecken.« Ich hörte eine Art seltsames verhaltenes Kichern. »Vermutlich hat alles auch seine guten Seiten, selbst die Pestilenz. Wenigstens gibt es das Mehl jetzt kostenlos.« Das Mahlgeräusch setzte wieder ein. Vielleicht war ich gestorben, und dieses war die Pforte zum Fegefeuer. So schwarz, so rauchig und so klein – so dunkel und qualvoll mußte es im Fegefeuer sein. Ich konnte mich nicht bewegen und versank schon bald wieder in der Schwärze.
    Ein ander Mal schlug ich die Augen auf und sah, wie der Mond ins dunkle Zimmer schien. Ein mit Grassoden abgedecktes Feuer schwelte in der Mitte des Raumes. War es ein Raum? Oder ein Haus? Ich streckte die Hand aus und ertastete von meinem Lager aus hartgestampften Lehmboden und einen Teil der Wand – Flechtwerk mit Lehmbewurf, ich konnte die Zweige und den rauhen Lehm fühlen. Ich hörte tiefe Atemzüge. Wo war ich? War es ein Traum? Etwas plumpste mir schwer auf die Brust, und ich fühlte die vier Pfoten einer großen Katze, die mich auf meinem Lager angesprungen hatte. Ich spürte ihren Atem im Gesicht und blickte hoch und in zwei riesige Augen, glühend wie orangefarbene Kohlen, die mich musterten. Streifen um den Hals, lange weiße Barthaare… »Ich muß wohl leben«, dachte ich, »denn im zukünftigen Leben gibt es keine Katzen. Aber wo bin ich, und warum bin ich am Leben?«
    Die Mieze beendete ihre Musterung und ging, wie sie gekommen war. Sie nahm ihre mitternächtliche Runde durch die dunkle Hütte wieder auf.
    »Leben oder Traum, ist ja alles egal«, dachte ich schläfrig und war schon bald wieder eingeschlafen.
    Eines Morgens wachte ich bei Vogelgesang und dem Duft von Essen auf dem Feuer auf. Ich wollte den Kopf heben.
    »Endlich wach?« fragte die Frauenstimme. »Hab ich dir nicht gesagt, daß du es schaffen würdest? Ich war mir sicher, als ich gesehen habe, daß die großen, schwarzen Geschwüre aufgegangen waren. Da hab ich gewußt, daß mein Traum alles richtig vorhergesagt hat.«
    Ich faßte unter meinem Arm und an meinen Nacken, wo es sehr wehtat. Unter einem losen Verband hatte ich offene, nässende Wunden.
    »Dann ist hier nicht das Fegefeuer?« fragte ich ängstlich. »Ich bin am Leben, oder?«
    »O ja, kann sein, es ist eine Art Fegefeuer, aber ganz sicher bist du am Leben, obwohl ich zunächst so meine Zweifel hatte.«
    »Warum

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