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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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war ein Born des Aberglaubens. Geistwesen nässen selbstverständlich nicht ein, und die Sorte Hirn, die sich zu solch einer Annahme versteigen konnte, war zu jedem Schwachsinn fähig.
    »Ich träume nämlich noch von meinem toten Mädchen, manchmal sogar jetzt noch. An Feiertagen bete ich für sie und zünde vor der Muttergottes eine Kerze für sie an. Findet Ihr das albern?« Margaret wollte wissen, was Bruder Gregory als Geistlicher davon hielt.
    »Wie könnte es wohl albern sein, wenn man für die seligen Dahingeschiedenen betet, Dame Margaret«, erwiderte Bruder Gregory ernsthaft und wechselte das Thema, wobei er seine Feder spitzte und sein Tintenhorn verschloß, damit ihm die Tinte während dieses Zwischenspiels nicht eintrocknete. Wenn er darüber nachdachte, so stand nicht ganz fest, ob Säuglinge nicht doch ins Fegefeuer kamen, bis sie nicht mehr einnäßten. Gottes Wege sind rätselhaft, und allzuviel Spekulieren konnte in Häresie enden. Das erinnerte ihn an ein ernsteres Problem. Stirnrunzelnd blickte er Margaret an.
    »Wer war diese alte Frau? War sie eine Hexe? Habt Ihr von ihr unheilige Künste gelernt?« Derlei Dinge behielt Bruder Gregory gern scharf im Auge.
    »Du lieber Himmel, Bruder Gregory, wenn jemand keine Hexe war, dann sie. Sie war eine ehrbare, christliche Wittib. Ihr Mann war Förster gewesen, und sie verdiente sich den Lebensunterhalt mit ihrer Geschicklichkeit als Wehmutter und ihren Kräuterkenntnissen. Sie liebte die Muttergottes voller Inbrunst, und nie habe ich erlebt, daß sie Gift oder Liebestränke verkaufte oder Ungeborene verzauberte. Ihre Liebe zu allen Kreaturen, auch den seelenlosen, machte sie mildtätig gegenüber jedermann.« Margaret blickte fromm drein, dann hielt sie inne. Immer hieß es aufpassen, daß man die Männer der Religion nicht befremdete, selbst die von der schäbigen Sorte. Es war fast unmöglich vorauszusagen, was sie zuweilen schluckten und was sie furchtbar aufbrachte. Und jeder hielt es da ein wenig anders.
    »Aber ich muß mit meiner Geschichte fortfahren, dann erklärt sich alles.« Margaret blickte nachdenklich zur Decke, so als könnte sie, wenn sie die Augen verdrehte, erneut die Schatten dieser lange vergessenen Begebenheiten sehen. Bruder Gregory rutschte verlegen hin und her und machte sein Tintenhorn wieder bereit.

    Als die alte Mutter Hilde (denn so hieß sie) mich fand, hatte sie mich für eine vornehme Dame gehalten, denn wie ich schon sagte, putzte mein Mann mich gern heraus, um sich mit seinem Geld zu brüsten. So trug ich, als sie mich fand, ein Unterhemd aus feiner, weißer Leinwand, ein prächtig besticktes Unterkleid mit Überkleid und einem großen, blauen Reiseumhang aus Wolle, so weich wie die Haut eines Neugeborenen. Doch wie sonderbar die jetzt an mir wirkten! Ich war so dünn geworden, daß sie an mir herunterschlotterten, als gehörten sie einer anderen. Zudem hatten sie eine rauchige Farbe angenommen, da Mutter Hilde sie etliche Tage übers Feuer gehängt hatte, um die Pestilenz aus ihnen auszuräuchern.
    Während dieser ganzen Zeit hatte Mutter Hilde fortwährend ihre beiden erwachsenen Söhne betrauert und sich um sie gegrämt, denn diese letzten von ihren fünf lebenden Kindern waren die wichtigste Stütze ihrer langen Witwenzeit gewesen. Man hatte sie zu Frondiensten fortgeholt, und sie waren nicht lebend zurückgekehrt, denn die Pestilenz hatte sie fern der Heimat dahingerafft. »Und wer weiß, wo sie begraben liegen, meine Jungen, oder ob sie mit Gebet bestattet wurden!« rief sie ein ums andere Mal aus und rang die Hände. Jetzt hatte sie nichts mehr als den armen Wechselbalg, das Kind ihrer späten Jahre, und selbst dessen Lächeln und unbeholfene Liebkosungen vermochten ihre Weinkrämpfe nicht zu stillen, wenn diese sie arg überkamen.
    Aber wie ich schon einmal sagte, die alte Hilde war überglücklich, als sie merkte, daß die Person, die ihr der Traum hergeschickt hatte, keine Lady, sondern eine ebenso neugierige und wache Frau wie sie war, jemand, der sich seiner Hände Arbeit nicht schämte. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, ein wenig anzugeben: »Und vor meiner Heirat habe ich nicht nur den feinsten Faden im Dorf gesponnen und den luftigsten Brotlaib gebacken und ein Ale gebraut, das an Qualität nur dem meiner Mutter nachstand, sondern ich kenne auch Dutzende von schönen Geschichten und Balladen – mehr als die meisten fahrenden Sänger, fanden alle.«
    »Ach, wirklich?« antwortete sie mit dem Anflug

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