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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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abenteuerlichem Spanisch gehaltene Predigt des Pfarrers war ein Aufschrei gegen die kommunistische Barbarei, gegen die Banditen, die unseren Frieden stören wollen. Sind wir des Krieges nicht müde? Wollten wir nicht das WortKrieg aus unserem Wortschatz streichen? Ist es nicht genug der Schmerzen? Zwei, drei, vier Sekunden Stille, wie im Priesterseminar, wenn er auf eine Antwort wartete, ja, Hochwürden, es ist genug. Aber niemand tat den Mund auf, und so beendete Hochwürden seine Predigt mit einer Klage über den Vandalismus des Maquis – den es gar nicht gab –, der ein Mahnmal zu Ehren der Märtyrer des Kreuzzugs zerstört und überdies Peret ermordet hatte, einen Republikaner und Atheisten, der nun ein kirchliches Begräbnis unter Vorsitz der franquistischen Honoratioren des Dorfes bekam. Seine Encarnació weinte innerlich und dachte bei sich, was für ein Glück, daß du das nicht mehr erleben mußt, Peret, denn wenn du jetzt den Kopf heben würdest, würdest du vor Kummer gleich wieder tot umfallen. Jemand zupfte an Oriols weißer Uniformjacke, und er drehte sich um. Jacinto Mas, Senyora Elisendas Chauffeur, steckte ihm einen Zettel zu, und er ließ ihn gerade noch rechtzeitig in seiner Tasche verschwinden, bevor Valentí, der sich mit dem Bürgermeister von Sort unterhielt, sich zu ihm umwandte, als wollte er ihn überwachen. Jetzt drehte sich auch der Pfarrer zu den Gläubigen um, hob feierlich die Arme, breitete sie aus und sagte »Dominus vobiscum«, und die ganze Gemeinde erhob sich geschlossen und antwortete »Etcumspiritusduo, Hochwürden«.
    An diesem Abend rief Valentí Targa ihn zu sich ins Rathaus. Den Nachmittag hatte Oriol, wie bereits einige Male zuvor, in der Pension von Ainet verbracht, umhüllt vom Nardenduft und dem Geheimnis, das nur der narbengesichtige Chauffeur mit ihnen teilte. Elisenda und er hatten einander ewige Liebe und Leidenschaft geschworen. Oriol erzählte ihr, daß Dante von der Liebe gesprochen hatte, die Sonne und Sterne bewegt.
    »Wie schön.«
    »Ich glaube, ich bin glücklich.«
    »Eines Tages wird alles für uns besser werden, das verspreche ich dir.«
    Noch mußten sie ihre Liebe vor Santiago und Rosa verbergen, vor Targa und Torena, vor den Machthabern, dem Maquis, vor den Kühen und Bremsen und vor den Heften an meine namenlose Tochter, und doch schwebten beide über den Wolken und fühlten, daß sie einander untrennbar verbunden waren.
    »Nimm. Ein Goldkreuz.«
    »Es ist sehr hübsch, aber ich …«
    »Behalt es; es soll dich an mich erinnern.«
    »Ich brauche keine Kreuze, um … Aber es ist ja zerbrochen!«
    »Nein. Die andere Hälfte trage ich. Verlier es nicht. Die Kette ist fest, mach dir keine Sorgen.«
    Sie hängte es ihm feierlich um den Hals; er senkte den Kopf als Zeichen seiner Liebe, dann betrachtete er die verblichenen Wände des Zimmers und dachte, daß sie die Grenzen seines grenzenlosen Glücks waren. Er wollte nicht, daß die tiefe Befangenheit, die ihn von Zeit zu Zeit überkam, sich dieses Augenblicks des Glücks bemächtigte, und sagte sich, ich weiß nicht, was wird, aber ich will nicht auf ihre Küsse und Liebkosungen verzichten, ich kann es nicht, und ich will immer wieder in ihren liebenden, abgrundtiefen Augen versinken, es tut mir leid, es tut mir leid.
    »Sieh zu, daß das Scheißbild endlich fertig wird, oder ich stell dich an die Wand.«
    Oriol hatte soeben still das Büro betreten.Targa stand mit dem Rücken zur Tür, die Hände in die Hüften gestemmt, und betrachtete sein eigenes Bild auf der Staffelei. Oriol ging auf die Staffelei zu, öffnete die Terpentinflasche, wählte zwei einigermaßen saubere Pinsel aus, tat Braun, Blau und Weiß auf die Palette und sah zum Tisch hinüber.Valentí setzte sich in Positur. Er trug noch immer seine Uniform. Er sah Oriol in die Augen und sagte, »Das war bloß ein Witz«, aber er lachte nicht dabei. Schweigend betrachtete Oriol Valentís Augen und malte sie; er versuchte, das Eisblau dieses schneidenden Blicks zu treffen. Vielleicht war es die schwarze Pupille inder Mitte. Oder der Haß, der in diesem Blick liegen konnte. Oriol dachte an den Haß, an Ventureta, an Rosa, an Dich, meine geliebte Tochter, und so sind mir die besten Augen gelungen, die ich jemals malen werde. Sie scheinen lebendig zu sein. Sie sind lebendig, Du solltest sie sehen. Du könntest sie sehen, wenn Du wolltest.
    Nach einer Stunde stiller Arbeit sagte er: »Das war’s, ich bin fertig. Du mußt mich nicht an die Wand

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