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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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einem Büro des Vatikans zur inneren Anhörung hängengeblieben, aus irgendwelchen Verfahrensgründen, die man mir nicht genauer erklären konnte, obwohl in der Einleitung des Dokuments steht, daß am 6. Juli 1957 Papst Pius XII. eine wundersame Heilung nach Anrufung des ehrwürdigen Oriol Fontelles anerkannt hat; in solchen Fällen wird ein Prozeß normalerweise nicht angehalten. Aber machen Sie sich keine Sorgen: Innerhalb weniger Jahre werden wir unser Ziel erreichen. Und nun unter uns gefragt: Was treibt Sie, sich so beharrlich für den Fall Fontelles einzusetzen?« Monsignore Escrivá etc. lächelte sanft und geduldig in Erwartung einer Antwort.
    Eigentlich, Monsignore, gehen meine Motive Sie einen Dreck an, aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Es ist die Liebe. Die Liebe, die Sonne und Sterne bewegt, Monsignore. Ich habe geschworen, sie für immer zu achten, was auch geschehen möge, ob wir nun würden heiraten können oder nicht. Ich habe es ihm in der Pension von Ainet geschworen, wo wir uns getroffen haben, verborgen vor den Augen der Welt. Niemand werfe den ersten Stein, denn niemand kennt die Unschuld unserer Gefühle. Ja, es gab auch körperliche Liebe, aber sie war nur das Ergebnis unserer tiefen inneren Liebe. Ich bin bisher keine Heilige gewesen, aber unsere Liebe war heilig.Von seiner ersten Berührung, als ich ihm Modell gesessen habe und er die Haltung meines Arms korrigiert hat, bis zu seiner ruhigen Stimme, dieser Sicherheit, die sein reiner Blick ausstrahlte … Sein Blick, der in der letzten Nacht ebenso verzweifelt war wie der meine, als wüßten wir beide, was geschehen würde … Ich habe schon gesagt, daß ich keine Heilige gewesen bin; ich habe im Dienste der Gerechtigkeit geheiratet. Ich habe Santiago nicht geliebt, aber die Heirat mit ihm erschien mir nützlich.Aus dem gleichen Grund habe ich mich einem entsetzlichen Mannhingegeben. Aber eines Tages bin ich meiner großen Liebe begegnet, ich habe sie gelebt, und das Leben ist schuld, daß sie mir entglitten ist. Und nun, Monsignore, bin ich die einzige, die sich noch an Oriol erinnert; niemand denkt mehr an ihn. Eine Spur von ihm ist noch in Torena erhalten, einem kleinen Dorf, das Sie nie besuchen werden, weil Sie sich die Schuhe und den Saum der Soutane beschmutzen würden. In Torena gibt es zwei Straßenschilder mit der Aufschrift Calle Falangista Fontelles in einer mit Kuhmist gepflasterten, abschüssigen Straße, die die Leute immer noch Carrer del Mig nennen und in die, wie ich gehört habe, zwei Frauen aus dem Dorf eben wegen des Namens keinen Fuß mehr setzen. Das genügt mir nicht für Oriol, und ich fühle mich verantwortlich. Das Franco-Regime wird vergehen, neue Regierungen werden kommen, die ihre Vorgänger verfluchen und das Straßenschild abnehmen werden. Das wird das erste sein, was sie tun werden: die Namen ändern. Dann wird Oriol noch ein wenig mehr sterben. Er war kein schlechter Mensch, trotz allem, was passiert ist. Natürlich war er Falangist, das war damals ganz normal, aber er verdient nicht, daß man sich seiner mit Haß erinnert. Aus all diesen Gründen und aus anderen, die mir gerade nicht einfallen, Monsignore, habe ich vor Jahren beschlossen, die Tatsache zu nutzen, daß der Dorfpfarrer und mein Onkel, Hochwürden August, den Sie ja gut kennen, sich durch die Umstände seines Todes bemüßigt sahen, die Seligsprechung meines Oriol in die Wege zu leiten. Ich verstand, daß Regime wechseln, die Kirche aber unverändert bleibt. Und so habe ich beschlossen, Oriol zu einem Fixstern dieser Kirche zu machen. Oriol wird schließlich ein Heiliger sein, und das möchte ich sehen. Um ihn öffentlich verehren zu können, Monsignore. Es kostet mich ungeheure Kraft – nur ich weiß, wieviel –, ruhig zu erscheinen. Die Seligsprechung und Heiligsprechung von Oriol Fontelles sind zu meinem Lebenszweck geworden, dem ich viele andere Möglichkeiten geopfert habe. Und niemand hat an meiner Entscheidung zu rütteln. Irgendwann einmalhaben Sie mir gesagt, es gäbe einen Aspekt in meinem Privatleben, der meinem Beitritt zum Opus entgegenstünde. Ja, ich hatte einen Geliebten, zwölf oder dreizehn Jahre lang, so genau weiß ich das nicht. Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen, aber ich bin eben nie eine Heilige gewesen. Der Heilige ist Oriol, nicht ich. Ich bin eine Frau, die selten, aber heftig geliebt hat, und das gleiche könnte man wohl auch vom Haß behaupten. Ich habe Oriols Tod und seine Abwesenheit beweint, wie

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