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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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war als der Blick, den
Perseus ertragen mußte, als er die Gorgo Medusa besiegte,
dort oben im Reich der Sterne.

Vierter Teil
Nänie für den Henker

Lieber Polizist: Ich bin Gott.
John Allen Muhammad
Heckenschütze aus Virginia
    Introibo ad altare Dei. At Deum qui laetificat iuventutem meam. Adiutorum nostrum in nomine Domine. Deus qui fecit caelum et terram.
    Hochwürden Rella erinnert sich kaum noch an die Messe in Latein; erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht.Vielleicht seit zwanzig oder dreißig Jahren hat er die Messe nicht mehr in Latein gelesen. Dreißig Jahre, mein Gott. Das ist unverzeihlich.
    Lange bevor das Evangelium gelesen wird, machen in den Bänken der Ehrengäste Zettel die Runde, die einige brav in die Tasche stecken, um sie später zu lesen, während andere sie sich gleich ansehen. Sie blicken auf und sehen sich unruhig nach allen Seiten um, als wären sie bei etwas Verbotenem ertappt worden.
    »Bitte sehr.«
    Hochwürden Rella nimmt einen Zettel und entfaltet ihn; sicher sind es neue Anweisungen für die komplizierten Zeremonien des Tages. Doch dann liest er auf spanisch: »Wir, die Mitglieder der Spanischen Falange, plädieren im Namen des spanischen Volkes für die erhoffte und ersehnte Seligsprechung des Caudillos Generalísimo Francisco Franco Bahamonde.Viva Franco, arriba España.« Ein Postfach für Beitrittserklärungen.Verdammt. Ich meine … Wütend zerknüllt der Pfarrer den Zettel und wirft ihn demonstrativ zu Boden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, beruhigt er sich selbst. Der Mann zu seiner Rechten bückt sich, hebt den zerknüllten Zettel auf und streicht ihn auf der Rückenlehne der Vorderbank glatt. Dann faltet er ihn sorgfältig und gibtihn dem Pfarrer zurück: »Sie haben da was verloren«, sagt er tadelnd.
    Nach der Lesung des Evangeliums tritt der Sekretär der Kongregation für Seligsprechungsprozesse an den Altar, während der Papst, geführt von einem beflissenen Pfarrer mit Chorhemd, aber ohne Meßgewand, Platz nimmt und zuhört. Der Sekretär der Kongregation spricht in Latein über die heroischen Tugenden derer, die heute seliggesprochen werden, und rezitiert dann feierlich die Worte des Papstes, »Tenore praesentium indulgemus ut idem servus Dei beati nomine nuncupetur«, und Hochwürden Rella hebt den Finger und sagt ergriffen zu Senyor Guardans, der links von ihm sitzt: »Er hat in etwa gesagt, daß wir gestatten, daß der Diener Gottes den Namen eines Seligen trägt.« Und fortan gelten der ehrwürdige Schullehrer und Märtyrer der Kirche Oriol Fontelles, ermordet von kommunistischen Horden, der tapfere ehrwürdige Soldat Krysztof Fuggs, ermordet von nationalsozialistischen Horden, die ehrwürdigen Barmherzigen Schwestern Nebemba Wgenga und Nonaguna Wgenga, ermordet von zügellosen revolutionären Horden, und die ehrwürdige Krankenschwester Koi Kajusato, ermordet von einer Horde Piraten, als Selige. Die Kirche erklärt durch den Heiligen Vater feierlich, daß diese Diener Gottes, deren heroische Tugenden zuvor anerkannt wurden, die ewige Seligkeit genießen und verehrt werden dürfen.
    Bei diesen Worten des Sekretärs ziehen zwei sehr hochgewachsene, sehr blonde Ministranten mit so scharf ausrasierten Nacken, daß sie an Mormonen erinnern, ein Tuch vom Altar, und zum Vorschein kommen die Porträtaufnahmen der fünf neuen Seligen der katholischen Kirche, ein ansehnliches Panorama verschiedenster Rassen. Die Universalität der Kirche zeigt sich selbst an ihren Märtyrern. Der zweite, neben einem Soldaten in Uniform, ist Oriol Fontelles auf dem einzigen Foto, das von ihm existiert; wer Bescheid weiß, kann den Kragen und den Aufschlag seiner nagelneuen Falangeuniform erkennen. Amen.
    Erneut zerknüllt Hochwürden Rella den Zettel und wirft ihn auf den Boden, und wieder bückt sich der Mann zu seiner Rechten, hebt ihn auf und streicht ihn glatt. Erst da fallen dem Pfarrer die Worte der Unbekannten im Dunkel der Kathedrale wieder ein, ihre rauhe, müde Stimme: »Sie wollen jemanden seligsprechen, der weder an Gott noch an die Kirche glaubte. Sie behaupten, er sei als Märtyrer gestorben.«
    »Ein schöner Tod …«
    »Sie verstehen schon, Hochwürden. Er hat weder an Gott noch an den Himmel oder die Erlösung, weder an die Gemeinschaft der Heiligen noch an die Autorität der Heiligen Mutter Kirche geglaubt. Nicht an Heilige und nicht an die Hölle.«
    »Aber warum fragen Sie mich dann nach meiner Meinung, meine Tochter?«
    »Weil ich es verhindern

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