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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Staubkörnchen zu entfernen.
    »Sie war die erste Freundin deines Vaters«, hörte er seine Frau sagen.

Sechster Teil
Das Gedächtnis der Steine

Man weiß nie, wo das Unglück endet.
Bibiana von den Moros aus Baiasca
    »Genauer gesagt, handelt es sich um eine Erkrankung der lebenden Substanz (Organ, Gewebe oder Zelle), die sich durch Änderungen in der morphologischen, physischen oder chemischen Struktur bemerkbar macht. In meinem Fall war es eine erworbene hepatozerebrale Degeneration, die als Woerkom-Stadler-Adams bekannt ist, nach drei Kollegen von mir, die sie erforscht haben. Diese Krankheit ist weder angeboren noch familiär bedingt, sondern erworben, eine neuropsychische Krankheit, die stark dem Morbus Wilson ähnelt und an Patienten mit chronischen Leberbeschwerden beobachtet wurde.«
    »Meine Güte.«
    »Ja. Und der Militärarzt Celio Villalón Cañete de Híjar und Doktor José Puig Costa haben bestätigt, daß diese hepatozerebrale Degeneration auf medizinisch unerklärliche Weise zurückgegangen und verschwunden ist, nachdem die Patientin – also ich – den ehrwürdigen José Oriol Fontelles mit einem Gebet, das ich mir selbst ausgedacht habe, angefleht hatte, beim Höchsten Fürsprache einzulegen. Ich habe es auf dieses Heiligenbildchen drucken lassen, bitte schön, nehmen Sie, und Sie auch, hübsch war er, nicht wahr? Und das Gebet lautet: O Gott, der du in deiner Güte die Seelen deiner Geschöpfe aufnimmst, wenn ihre Stunde gekommen ist, erweise mir die Gnade [ hier einsetzen, worum man bittet ], durch die ausdrückliche Fürbitte des ehrwürdigen Märtyrers José O Punkt Fontelles, der mit dir im Reiche der Seligen lebt, Amen. Und danach sollte man zehn Avemarias beten, und das, worum man gebeten hat, wird einem gewährt. Das klappt immer. Garantiert.«
    »Senyoreta Báscones.«
    »Ich unterhalte mich gerade mit dieser Dame.«
    »Genau darum geht’s:Würden Sie bitte still sein?«
    »Hören Sie mal, Hochwürden Rella: Ich erzähle gerade, was für eine entscheidende Rolle ich im Prozeß der Seligsprechung …«
    »Schön und gut, aber nun seien Sie bitte still, wir sind schon zur Ordnung gerufen worden.«
    »Was wissen die schon.«
    Einer der Kurzgeschorenen im Chorhemd tritt auf Cecilia Báscones zu, die Heiligenbildchen verteilt, die auf der einen Seite mit dem Gebet und auf der anderen Seite mit der einzigen Fotografie von Oriol bedruckt sind. Die Falangeuniform wurde im Fotolabor wegretuschiert. Drei Damen und zwei Herren küssen andächtig das Bild dessen, der seit heute ein Seliger der Kirche ist, und stecken es zu dem Zettel, auf dem die sofortige Seligsprechung General Francos erwünscht, nein gefordert wird, alles in allem eine wunderbare Erinnerung an dieses unvergeßliche Fest. Hochwürden Rella nimmt den Mann im Chorhemd beiseite, um deutlich zu machen, daß er alles im Griff hat, Sie wissen schon, die Aufregung der Feierlichkeiten und so weiter.
    »Wann war das, Senyora?«
    »Mal sehen, ich bin jetzt achtzig …«
    »Nein.«
    »So wahr ich hier stehe.«
    »Das hätte ich nie gedacht. Sie sehen aus wie … ich weiß nicht …«
    »Jawohl. Damals war ich fünfunddreißig. Das war kurz nachdem sie unseren seligen José zu einem ehrwürdigen erklärt hatten.«
    »Den seligen Oriol.«
    »Nein. Den seligen José. Höchstens den seligen José O Punkt.«
    »Den seligen Oriol Fontelles.«
    »Wer weiß das besser als ich, an der er sein Wunder getan hat?«
    »Senyoreta Cecilia Báscones, meine Damen, halten Sie bitte den Mund.«
    »Senyora Elisenda hält ein Schwätzchen mit dem Heiligen Vater, und niemand sagt was. Ich sag nur zwei Sätze, und schon wird gemeckert.« Leiser fährt sie fort: »Hochwürden Rella ist neidisch auf mich. So ist das.«
    »Es heißt, Senyora Elisenda persönlich hätte den ganzen Seligsprechungsprozeß bezahlt.«
    »Sie ist reich. Gut, daß sie es getan hat, wo sie es sich doch leisten kann. Stinkreich ist die.«
    »Kennen Sie sie?«
    »Wir kommen aus demselben Dorf, aber sie ist sehr … wie soll ich sagen … sehr zugeknöpft. Sie ist eine von denen, die denken, daß ihnen keiner das Wasser reichen kann. Aber sie weiß, was sie will. Sehen Sie mal, das sind sicher die Angehörigen von dem Polen. Sehen aus wie Bauern, nicht wahr?«
    Den Männern im Chorhemd und Hochwürden Rella zum Trotz kann Cecilia Báscones für ihre treue Zuhörerschaft noch einen Teil ihrer interessanten Lebensgeschichte zum besten geben, die Geschichte, wie ihr Vater, der wackere Guardia

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