Die Stimmen des Flusses
würde. Als er fertig war, rief er Frau und Tochter, zeigte ihnen den neuen Stein, und alle drei stießen auf das Ende der Bestie und die neuen Tage an, an denen der Himmel blauer sein würde, selbst wenn es regnete.
In der Nacht nach Ricardo Tenas Anruf träumte Elisenda Vilabrú von der Rache der Feliçós, der Venturas, der Mauris von Ignasis Maria und von den Sektkorken, die die Leute knallen ließen, die wieder Hoffnung schöpften. Sie sah sich mit Unbekannten anstoßen und ihre Freude teilen, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Die Zukunft gehört der Zukunft, sagte sie sich im Traum. Einen Monat später, als sie beschlossen hatte, daß es vielleicht doch besser sei, sich beimEmpfang blicken zu lassen, hatte Ció die Korrespondenz auf das Frühstückswägelchen gelegt und es ins Eßzimmer geschoben. Noch bevor sie den Tee anrührte, ging Elisenda mit jener geduldigen Ungeduld, mit der sie Unvermeidliches erledigte, die Post durch. Dreizehn Bankbriefe, zwei absehbare Einladungen zu Festakten, eine Postkarte von Marcel aus Stockholm, die Stadt ist sehr schön, die Sitzung findet doch erst morgen statt, anscheinend sind sie an unserem Vorschlag interessiert, und ein einzelner Umschlag, der sogleich ihr Mißtrauen erregte. Ein normal großer, gräulicher Umschlag, abgestempelt in Sort und ohne Absender. Sie nahm ihn in die Hand und legte ihn wieder hin. Sie schenkte sich Tee ein und griff nach dem Brieföffner. Das zweifach gefaltete Blatt war von der gleichen hellgrauen Farbe wie der Umschlag. Mit Bleistift stand da in Druckbuchstaben:
Elisenda du Hure unsere Gruppe weiss wie Senyor Oriol Fontelles vor dreissig Jahren gestorben ist Wir wissen alles und wollen zwanzig Millionen oder wir erzählen alles der Presse und dem Postulator für die Seligsprechung oder der Polizei oder den Angehörigen des Opfers Wenn wir nicht in zwei Tagen die zwanzig Millionen haben laufen die Ermittlungen an Die Polizei wird alles erfahren und wir werden sogar bekanntmachen woher das Kind kommt das du als deinen Sohn Marcel Vilabrú ausgibst Unser Schweigen kostet zwanzig Millionen Einer der nicht auf uns gehört und nicht bezahlt hat ist jetzt tot Ich hoffe du hast kapiert und bringst uns um drei Uhr früh die zwanzig Millionen in Scheinen zu tausend und fünfhundert zur Carretera de l’Arrabassada Kilometer drei dreihundert Morgen nacht um drei Uhr in der Frühe Du Schlampe Gruppe für revolutionäre Aktion (GRA) PS Morgen früh wirst du weitere anweisungen erhalten Wenn du die Polizei einschaltest kastrieren wir euch alle (GRA)
Das Blatt zitterte in Rechtsanwalt Gasulls Hand.
»Und du sagst, es wurde bei euch in den Briefkasten geworfen?«
»Ja.«
»Und was soll das heißen, daß sie über Fontelles’ Tod berichten werden?«
»Keine Ahnung.«
Gasull starrte durch die Trennscheibe auf den Nacken des kahlen Chauffeurs. Dann wandte er sich zu Elisenda und sah ihr ins Gesicht. Er wußte nicht, ob er es sagen oder lieber schweigen solle. Schließlich fragte er leise: »Sollen wir die Polizei benachrichtigen?«
Er merkte, daß Elisenda ein paar Sekunden lang die Luft anhielt, dann hatte sie sich unter Kontrolle. »Nein, ich finde das Ganze lächerlich.«
»Und warum hast du es mir dann gezeigt?«
»Aus Vorsicht. Damit du …«
»In Ordnung.Willst du meine Meinung hören?«
Der Wagen glitt durch den Carrer Fontanella, genau da, wo ihr Geliebter Oriol zweiunddreißig Jahre zuvor Valentís Verfolgung aufgenommen hatte, um ihn zu erschießen. Bald bog er in die Via Laietana ein und fuhr zum Hafen hinunter. Der Rechtsanwalt schwenkte den Umschlag und legte ihn dann auf die Ablage.
»Vergiß es einfach. Irgend jemand will dir Angst einjagen und dich ärgern.«
Beide schwiegen eine Zeitlang. Gasull sah aus dem Fenster. Wenn es in Barcelona regnete, fielen die Ampeln aus, und der Verkehr staute sich. Er nahm das Papier auf und las es noch einmal.
»Ich frage mich, wieso das mit dem Tod von Fontelles eine Drohung sein soll«, sagte er nachdenklich. »Oder Marcels Herkunft.«
»Wen es sehr interessiert, der kann herausfinden, daß Marcel adoptiert ist.Aber warum bedrohen sie mich damit? Ist es denn ein Verbrechen, ein Kind zu adoptieren?«
»Und das mit Fontelles’Tod?«
»Ich bin der einzige noch lebende Mensch, der ihn mit angesehen hat. Deshalb weiß ich, was geschehen ist, und verstehe die Drohung nicht.«
Wieder schwiegen sie eine Weile. Gasull hoffte, Elisenda werde ihn ins Vertrauen ziehen. Aber Elisenda sah
Weitere Kostenlose Bücher