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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Augen, die denkt immer nur an das eine, wie die Männer. Dora ist zu jung. Nun hatte das Auto aufgehört, ihr Lichtzeichen zu geben, und blinkte, um sie zu überholen. Zu jung? Vielleicht war es gerade das … Es war eine Qual, in Gedanken stets bei diesem Thema zu sein, beim Roulette der Namen der Frauen, die in Frage kamen. Sie machte eine obszöne Geste zu dem Auto hinüber, das sie angeblinkt hatte, als es auf ihrer Höhe war. Dann packte sie Panik, als sie sah, daß der Fahrer Jordi war. Das Autofuhr an ihr vorüber, und sie dachte, das kann nicht sein, die Scheinwerfer sind gelb, und als der Wagen sie überholt hatte, sah sie das französische Kennzeichen und atmete erleichtert auf. Dann ärgerte sie sich: Mußte sie etwa fürchten, entdeckt zu werden? Sie hatte nichts weiter zu verbergen als eine Zigarrenkiste. Sie blinkte den französischen Wagen ein paarmal von hinten an, um ihn ebenfalls zu belästigen, und fühlte sich danach ein bißchen besser.
    »Ich hoffe, es ist was Wichtiges«, sagte der Mann mißtrauisch und ließ sie herein.
    Der nur durch die Notbeleuchtung schwach erhellte Raum schien zu dämmern, in Erwartung eines neuen Tages voller Rauch, Lärm, Gespräche und Kälte. Ein Dutzend Tische und Stühle nahm einen Großteil des Raumes ein. In einer Ecke befand sich die Bar, und am hinteren Ende des Raumes war die Rezeption des Hotels mit den Schlüsselfächern, von einer Lampe erhellt, die einen warmen Lichtschein auf die Holztheke warf.Tina setzte die Mütze ab und knöpfte ihren Anorak auf. Der Mann ging zur beleuchteten Theke hinüber.
    »Möchten Sie vielleicht ein Zimmer?« Ihm war anzumerken, daß er so rasch wie möglich in sein Bett zurückwollte.
    »Nein.« Sie sah, daß er einen Schlafanzug und einen Morgenmantel trug. »Entschuldigen Sie, aber ich dachte, es gäbe einen Nachtdienst hier. Und ich wollte mit ebender Person sprechen, die abends und nachts hier ist.«
    »Hier ist zu wenig los, um jemanden für die Nacht einzustellen.«
    »Und wenn jemand um diese Zeit abreisen muß?«
    »Was wollen Sie? Einen kleinen Plausch …«, er hielt sein Handgelenk in den Lichtkreis der Lampe auf der Theke und Tina merkte, daß der Mann weitsichtig war, »… um vier Uhr morgens? »Nur, damit Sie’s wissen: Ab sechs serviere ich Kaffee.«
    Tina zog ein Foto von Jordi aus der Tasche. Sie hatte esvor zwei Jahren gemacht, als sie sich vom Weihnachtsgeld einen Urlaub in Andorra gegönnt hatten. Jordis dunkle Augen glänzten und kokettierten mit dem Kameraobjektiv.
    »Kennen Sie ihn?«
    Der Mann sah Tina verärgert an, nahm das Foto und hielt es in den Lichtschein. Er betrachtete Jordi mit regloser Miene.
    »Wer sind Sie überhaupt? Polizistin? Detektivin?«
    »Ich bin seine Frau.«
    Der Mann gab ihr das Foto zurück und winkte sie hinaus: »Senyora, Ihre Probleme interessieren mich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Dies hier ist eine Pension und eine Bar, und ich beantworte keine Fragen, die meine Gäste betreffen.«
    »Also kennen Sie ihn: Er ist hier Gast.«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte …«
    »Danke.«
    Tina ging hinaus und ließ ihn mitten in seiner Ausrede stehen, so daß er sich lächerlich vorkam. Der Mann schloß die Tür ab und schob den Riegel vor, wütend auf diese dämliche Tussi, die meinte, mitten in der Nacht Ärger machen zu müssen.
    Sie hatte den 2CV an derselben Stelle geparkt wie an dem Abend, an dem sie den beiden hinterherspioniert hatte.Von hier aus sah sie zur Tür der Pension hinüber, die jetzt im Dunkeln lag. Ein Monat war vergangen, und er hatte ihr nichts gebracht als Unsicherheit und Unruhe. Sie dachte, wieviel bequemer es doch war, zu ignorieren, was einem weh tat, als sich damit auseinanderzusetzen. Aber man konnte nicht ignorieren, was man wußte. Sie hatte den Gipfel der Feigheit erreicht, weil sie weder darüber hinwegsehen noch Jordi direkt darauf ansprechen konnte: Sie spionierte ihm nur hinterher.Wütend auf sich selbst, ließ sie den Motor an und verfluchte den verdammten Wirt, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte … Der Wagen war erst ein paar Meter gefahren, als sie plötzlich auf die Bremse trat. Vier Uhr. Sie bedauerte, daß sie die Thermoskanne nicht dabeihatte.Die Frau sah sich Jordis Foto eine ganze Weile an, als wollte sie sich ein Urteil über diese geliebten, gehaßten Gesichtszüge bilden. Wie kann man ein Gesicht hassen, das man so sehr geliebt hat? Tina dachte an Oriol, der gewußt hatte, daß Rosa ihn verabscheute, kurz nachdem

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