Die Stimmen des Flusses
vermied, undjeder in Torena, auch Rosa und seine Tochter, deren Namen er nicht kannte, würde erfahren, daß er ein Freiheitskämpfer gewesen war und kein falangistischer Verräter und Freund von Mördern.
In der Stunde, in der die Fünfzehnte Brigade in die wilde, einsame Gegend um Tor vordrang, ihrer Niederlage im Vall Ferrera entgegen, traf Oriol Fontelles Grau eine Entscheidung. Wenn er schon zwei Stunden warten mußte, konnte er sie genausogut nutzen. Er stieg vom Dachboden hinunter und zog seine Jacke über. Ihm blieben nur anderthalb Stunden, höchstens eindreiviertel Stunden, wenn Jott-fünf rechtzeitig auf Sendung gehen wollte. Auch feige Helden können unvorsichtig sein. Zweiundzwanzig der Maquisards, die über den Schwarzen Paß von Andorra gekommen waren und bei Tor die Noguera durchwatet hatten, die Vorhut der Fünfzehnten Brigade, wußten nicht, daß sie bei Alins im Talgrund sieben Maschinengewehre, die dort gegen den Lauf der Geschichte postiert waren, niederstrecken würden.
Oriol betrat das Klassenzimmer, das im Halbdunkel lag. Draußen brach die Nacht herein und verbarg die raschen Schritte der etwa hundert Männer von der Fünfhundertsechsundzwanzigsten, die über den Paß von Salau gekommen waren, um in Esterri einzufallen, über jenen Paß, den Leutnant Marcó in den letzten drei, vier Jahren Dutzende Male überschritten hatte und den Oriol nur aus den Beschreibungen der Führer kannte, die auf ihren gefährlichen Wegen vom und zum Paß kurz in der Schule haltmachten. Er schaltete das Licht nicht ein. An der ungewischten Tafel stand noch das Sechser-Einmaleins, das er den mittleren Schülern als Hausaufgabe gegeben hatte, aber er wischte es nicht aus. In die rechte obere Ecke hatte er mit vom kalten Wind und seiner Begegnung mit der Zuckerpuppe zitternder Hand geschrieben: »17. Oktober 1944«. Es war das letzte Datum, das er in seinem Leben schreiben würde, aber er achtete nicht darauf. Er schob die Tafel zurück. Dahinter befandsich eine Mauernische. Oriol nahm die Zigarrenkiste, sah sich um und entdeckte eine schwarze Schnur, die schon seit Tagen herumlag. Noch einmal schlug er das letzte Heft auf und sah die letzten Worte an, die er erst vor kurzem seiner Tochter geschrieben hatte: daß ein Kaffee mit Schuß ihn das Leben kosten würde und »Rosa, geliebte Rosa, sei mir nicht böse«. Er küßte das Heft, legte es zu den anderen in die Zigarrenkiste und band diese mit der schwarzen Schnur zu. Dann verstaute er sie im Geheimfach, wo schon ein Stoffbündel lag. Er nahm es und schlug es auf. Es war eine Astra, Kaliber neun Millimeter, mit gefülltem Magazin. Sie glänzte zuversichtlich, gut geölt. Er steckte sie in die Tasche, klopfte ein paarmal freundschaftlich auf die Zigarrenkiste, schob die Tafel wieder über das Versteck und dachte, das war’s, jetzt kann’s losgehen, noch anderthalb Stunden.
Wenn A eine Teilmenge des euklidischen Raums R n ist, erhalten die in A definierten Funktionen den Namen reelle n-Variable, und wenn A in der komplexen Ebene enthalten ist, spricht man von Funktionen mit komplexen Variablen. In der Funktionalanalysis interessieren die Funktionen zwischen allgemeinen topologischen Räumen, topologischen Vektorräumen, metrischen Räumen und so weiter.
»Senyora.«
Hochwürden August hob den Kopf, nahm die Brille ab und sah seine Nichte an. Die Uhr tickte, an der rechten Wand hing das Bildnis Elisendas, und vor dem Fenster herrschte die Stille der eisigen Nacht von Torena. Sie saßen im Wohnzimmer am knisternden Kamin, der die gleiche Hitze ausstrahlte wie zwanzig Jahre später, als Marcel und Lisa Monells sich auf dem Teppich auszogen, auf dem nun Hochwürden August Vilabrú seine ehrwürdigen Füße ausstreckte, während sein Kopf dachte (f + g) (x) = f (x) + g(x), (f · g) (x) = f(x) · g(x), ( λ f) (x) = λ · f(x), seine Augen auf seiner Nichte und Bibiana ruhten und sein Herz spürte, daß das Schweigen zwischen den beiden Frauen zu groß war.
»Was ist, Bibiana?«
Elisenda stand auf und ging ohne eine Erklärung hinaus. Man hörte Stimmen, eine Tür schlug zu, und Oriol Fontelles trat ins Wohnzimmer, den Mantel über den Arm gehängt, und verstand, warum Bibiana und Elisenda so zurückhaltend gewesen waren. Dieser korpulente Kanoniker war in Casa Gravat zu Besuch. Er trat auf ihn zu, grüßte ihn freundlich, und Elisenda informierte Onkel August, dieser Herr sei der Dorfschullehrer von Torena und Maler des Porträts. Hochwürden August
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