Die Stimmen des Flusses
mitten auf dem einsamen Platz ein schwarzer Wagen hielt und jemand ausstieg.
»Falangisten, wie’s scheint.«
»Heilige Mutter Gottes.«
Drei, vier, nein, fünf junge Falangisten, alle gleich gescheitelt, knallten die Wagentüren zu und gingen zu der Seite des Platzes hinüber, die man vom Fenster aus nicht sehen konnte. Oriol und Rosa schwiegen, weil sie wußten, daß ein Trupp entschlossener Faschisten nichts Gutes verhieß.
Valentí Targa lernte Oriol eine Viertelstunde später kennen, als er im Rathaus vorsprach, um die Papiere zu unterzeichnen, bevor es sich irgend jemand irgendwo anders überlegte. Im Büro des Bürgermeisters, einem kleinen Raum mit fahlgrünen Wänden, wurmstichigen Möbeln und rotem Fliesenboden, sprachen ValentíTarga und Oriol Fontelles zum ersten Mal miteinander. Der Bürgermeister trug ebenfalls die Uniform der Falangisten und hatte die Hemdsärmel aufgekrempelt, seine Oberlippe zierte ein schmaler Schnauzer, und seine feuchten, blauen Augen kontrastierten mit seinem schwarzen Haar. In seinem Gesicht zeigten sich die ersten Falten, aber sein ganzes Wesen strahlte Energie aus. Zwei der Uniformierten aus dem schwarzen Wagen gingen im Büro ein und aus, ohne um Erlaubnis zu bitten und ohne Oriolzu beachten. Sie unterhielten sich auf spanisch. Warum auch hatte die Enzyklopädie von Santa Madrona in Poble-sec es versäumt, Rosa und ihn darauf hinzuweisen, daß Torena neben seinen vielen gesundheitlichen Vorzügen einen großen Makel aufwies, nämlich ein paar anstehende Todesfälle, die nicht länger warten konnten?
»Ich verlasse mich darauf, daß wir uns nach dem Essen im Café sehen«, sagte der Bürgermeister zum Abschluß des sehr kurzen Gesprächs. »Heute und an jedem darauffolgenden Tag, egal, ob Unterricht ist oder nicht.«
Es war ein Befehl, doch das verstand Oriol nicht, und so erwiderte er, sie seien sehr beschäftigt damit, das Haus in Ordnung zu bringen und die Wäsche in die Schränke zu räumen, besser gesagt, in den Schrank, und vielleicht ein anderes Mal.
»Um drei im Café«, entgegnete Valentí Targa, dann wandte er den Kopf ab und tat so, als wäre er allein im Büro. Da verstand Oriol, daß es ein Befehl war. Er sagte »Jawohl, Herr Bürgermeister«, starrte auf die Bilder von Franco und José Antonio, die hinter dem Bürgermeister an der Wand hingen, und dachte bloß, daß die Wand mal wieder gestrichen werden müßte. Und im Café tuschelten ein paar Müßiggänger, Senyor Valentí habe den halben Abhang von Tuca Negra gekauft, der zu Casa Cascant gehörte, obwohl das Gelände gar nicht zum Verkauf stand. Nun ja, seit dem Tag, an dem Tomàs als Republikaner angeschwärzt wurde, steht dieser Teil von Tuca wundersamerweise zum Verkauf, was sagt man dazu. Ja. Also, ich hab gehört, daß es gar nicht er war, der das Grundstück gekauft hat. Und dann wechselten sie das Thema, weil der Bürgermeister hereinkam, um wie jeden Nachmittag eine Weile schweigend zu rauchen. Neben Senyor Valentí Targa, dem Bürgermeister und Chef der Falange von Torena, saß einer seiner uniformierten Kameraden, ein dunkel gelockter Mann, schweigend wie er. Beide schienen ungeduldig auf jemanden zu warten. Als Oriol um drei Uhr kam, sah er, wie die wenigen Männer im Lokal ebenfallsverstummten und so taten, als spielten sie weiterhin seelenruhig Karten, während sie beobachteten, auf wessen Seite der neue Lehrer stand.
Am Abend liebten sich Oriol und Rosa auf dem Strohsack im Haus des Lehrers, von dem alle bereits wußten, auf wessen Seite er stand. Rosa unterdrückte ihren Husten, und beide waren ganz vorsichtig wegen der Schwangerschaft, vor allem aber leise, um die wunderbare Stille an diesem beschaulichen Plätzchen nicht zu stören.
Elisendas Hände waren zwei Tauben im Flug, elegant, sicher, wohlgeformt. Die drei am schwierigsten zu zeichnenden Dinge sind die Hände, die Augen und vor allem die Seele. Die Hände würde er bald angehen müssen. Die Augen würde er zuletzt malen, wenn er sie offen ansehen konnte. Und die Seele – nun, das lag nicht in seiner Macht. Entweder sie erschien aus freien Stücken auf der Leinwand, oder sie blieb mit einer verächtlichen Grimasse daneben stehen.
»Machen wir eine Pause, Oriol?«
»In Ordnung.«
»Warum fragst du Rosa nicht, ob sie zum Tee kommen möchte?« sagte Elisenda, während sie aufstand und die Arme reckte, mit einer Vertraulichkeit, die Oriol verwirrte. »Soll ich ihr Bescheid geben lassen?«
Ob sie sich vor mir schützen will?
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