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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Hat sie etwa Angst vor mir?
    Als Oriol sich nicht äußerte, läutete Elisenda nach Bibiana: »Bibiana, sag Jacinto, er soll Senyora Fontelles holen, wenn sie gerne kommen möchte.« Sehr gut, Jacinto, du machst das ausgezeichnet.

11
    »Montse Bayo? Eine Langweilerin.«
    »Wenn du mit ihr zusammen bist, bist du ganz scharf auf sie.«
    Marcel erstickte diese Unverschämtheit mit einem heftigen Kuß, der ihr den Atem raubte. Gleich würde es acht schlagen. Jetzt bestimmte er, er war auf seinem Terrain. Aber er mußte mitspielen, durfte nichts überstürzen, und als sie ihn fragte, woher der Nippes auf dem Kaminsims stamme, sah er erstaunt zum Kamin hinüber.
    »Keine Ahnung. Der stand schon immer da.«
    »Und diese Uhr …«
    Sie zeigte auf eine goldene Uhr, deren Zifferblatt von zwei Engeln flankiert war und die die Stunden hell und fein anschlug, als wäre ihr bewußt, daß die ehrwürdige Wanduhr den Ton angab.
    »Was ist damit?«
    »Sie gefällt mir. Woher weißt du, daß niemand kommt?«
    »Du kannst einem wirklich auf die Nerven gehen. Warum willst du das wissen?«
    »Wir könnten nach oben gehen.«
    »Wohin?«
    »Auf dein Zimmer.«
    »Warum?« Er wandte sich um und sah sie an. »Willst du mit meiner elektrischen Eisenbahn spielen?«
    »Komm schon.« Lisa ließ sich in einen Sessel plumpsen und zog eine wohlkalkulierte Schnute: »Woher weißt du, daß deine Mutter nicht kommt und …«
    »Sie kommt nicht«, unterbrach sie Marcel. »Warum willst du das überhaupt wissen?«
    Lisa zog sich die Bluse aus.
    »Weil mir ganz heiß ist, so nah am Kamin.«
    »Mir auch.« Marcel zog sich Pullover und Hemd aus.
    »Und wenn jetzt deine Mutter käme und uns hier so erhitzt sehen würde …« Sie lachte, sie war schrecklich nervös.
    »Sie ist in Madrid.«
    »Sie ist hübsch.«
    »Wer?«
    Lisa zeigte auf das Bild über dem Kamin. Eine elegante Elisenda, sehr jung, aber ebenso elegant wie heutzutage, mit einem Buch in der Hand, blickte geradeaus, sah sie mit lebendigen, leuchtenden Augen an. Sie schien zu sagen, Lisa, Kind, du willst dir meinen Sohn angeln, aber du bist nicht gut genug für ihn.
    »Sie würde bestimmt der Schlag treffen, wenn sie uns sehen könnte, so fromm, wie sie ist.«
    Rausschmeißen würde sie dich, dachte Marcel. Scheint fast, als würdest du wollen, daß uns jemand sieht, du Schlampe. Er küßte ihr galant die Hand. Sie streckte die Beine zum Kamin hin und zögerte den Augenblick hinaus, weil sie sich gern die Hand küssen ließ. Aber kein Kuß währt ewig.
    »Woher kannst du so gut skilaufen?«
    »Ich komme so oft wie möglich her, seit ich mich erinnern kann.«
    »Ja, ich auch.« Sie sah ihm in die Augen. »Aber du …«
    »Der Schnee ist mein Leben. Die Berge, die schneebedeckten Bäume, die Skier, die durch die Stille gleiten, der Wind, der mir um die Nase weht … Und die anderen sind weit weg, kleine Punkte, die nicht reden und nicht schreien und mir nicht auf die Nerven gehen … Das ist meine Lebensphilosophie.« Er legte das Hemd auf den Sessel. »Auf zweitausendeinhundert Meter Höhe bin ich Gott.«
    Lisa sah ihn mit offenem Mund an, ein wenig verdattert über diese Grundsatzerklärung. Marcel war zufrieden darüber, wie leicht es ihm gelang, Lisa Monells um den Finger zu wickeln. Plötzlich bewegte sich das Mädchen wieder, und ehe er sich’s versah, hatte sie ihre Skihose ausgezogen.Ein Paar weiße, runde, glatte, vollkommene Beine mit einem Grübchen am Knie, der Vorgeschmack auf künftiges Glück.
    »Herrje, verbreitet dieser Kamin eine Hitze!«
    »Möchtest du einen Whisky?«
    »Nein, jetzt nicht.«
    Vielleicht danach, wenn es jemals ein Danach geben sollte, denn du bist verdammt noch mal der langsamste Typ, der mir an der ganzen juristischen Fakultät untergekommen ist, da kann Montse sagen, was sie will.
    Spielerisch öffnete Lisa Marcels Gürtel und zog ihm lachend mit einem Ruck die Hosen herunter.
    »Na los«, sagte sie, »sonst kriegst du noch einen Hitzeschlag!«
    Marcel Vilabrús Beine waren behaart, braungebrannt, kräftig und muskulös, die Beine eines Athleten, genau wie Montse Bayo ihr gesagt hatte. Sie stellten ihre Beine nebeneinander, und sie machte ihn auf den Kontrast aufmerksam. »Du bist ja fast schwarz, Marcel.« Er streichelte ihren Oberschenkel, und Lisa dachte, das wurde aber auch wirklich langsam Zeit, Marcel Vilabrú. Um ihn zum Weiterreden zu ermuntern, sagte sie: »Hast du denn Freunde hier im Dorf?«, und er verzog das Gesicht: »Ich? Hier? Du spinnst

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