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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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gemacht?«
    »Niemand hat mich dazu gezwungen, zu glauben.«
    »Geh zu den Umweltschützern, aber bitte nicht ins Kloster.«
    »Vater …«
    »Du bist zu Hause überhaupt nicht religiös beeinflußt worden, verdammt!«
    »Aber draußen schon.«
    Wer hat dich verdorben? dachte Tina. Wer war hinter dir her und hat deine Seele gestohlen, um dich seinen heiligen Willen tun zu lassen? Sie hörte, wie ihr Mann mit rauher Stimme sagte: »Arnau, mein Sohn, ich hatte gehofft, wir hätten dich nach den Prinzipien von Gerechtigkeit, Freiheit und Ehrlichkeit erzogen, und ich dachte, wir hätten dir das auch vorgelebt.«
    Sie war drauf und dran, wütend aufzufahren, halt den Mund, Jordi, du hast überhaupt kein Recht, über Gerechtigkeit und Freiheit zu sprechen, und schon gar nicht über Ehrlichkeit, du heuchelst und lügst und bist zu feige, mich an deinen Träumen teilhaben zu lassen.
    Wir sind Fremde, dachte sie, drei Fremde, die einander jetzt eingestehen müssen, daß sie sich das Zusammenleben hätten sparen können, wenn dies das Ergebnis ist.
    »Hast du an unserer Erziehung etwas auszusetzen?« fragte sie leise.
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Du hast es uns aber zu verstehen gegeben«, warf Jordi ein.
    »Nein. Aber es sieht so aus, als hättet ihr euch einzig Sorgen darum gemacht, daß ich immer Kondome benutze und nicht an der Nadel hänge.«
    Die Nadel traf Tinas Herz. Und ich dachte, mein Sohn … Wir erziehen die Kinder anderer Leute, aber niemand hat uns gelehrt, unsere eigenen Kinder zu erziehen, und wenn man anfängt, es zu lernen, ist es zu spät, die Kinder sind weg und geben uns keine zweite Chance.
    Als Jordi seine Frau in ihre eigenen Gedanken versunken sah, warf er Doktor Schiwago vom Sofa und setzte sich. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, der das Mitleid seines Sohnes erregen sollte. Plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand aufs Knie und versuchte es in einem anderen Tonfall: »Das ist unerträglich! Du und Mönch? Mein Sohn, ein Mönch?« Wütend stand er auf und sah Tina Unterstützung heischend an: »Ich will nicht, daß mein Sohn zum Sklaven wird.«
    »Ich bin niemandes Sklave. Ich will meinem Tun einen tieferen Sinn verleihen.«
    »Und dein Journalistikstudium?«
    »Interessiert mich nicht.«
    »Und deine WG-Mitbewohner?«
    »Die leben ihr Leben, und ich lebe meines. In einer Woche gehe ich ins Kloster, ob es euch paßt oder nicht.« Er sah sie an: »Ich bitte euch nur um euren Segen, wenn es möglich ist.« Er schüttelte den Kopf. »Verzeihung: um eure Zustimmung.«
    »Unfaßbar.«
    »Ich will, daß du glücklich wirst, Arnau.«
    Sei wenigstens du glücklich, wir drei können es nicht, denn wenn Jordi sein Leben vor mir verbirgt, dann ist er nicht glücklich, und seit dem Tag, an dem Renom mir gesagthat, ich habe übrigens deinen Mann in Lleida gesehen, er sieht gut aus für sein Alter, und er eigentlich auf einem zweitägigen Seminar in La Seu sein sollte, als er hinterher auch noch Theater gespielt und mir von dem Seminar in La Seu erzählt hat, seit diesem Tag kann ich nicht mehr glücklich sein, denn das Glück besteht darin, mit sich selbst im reinen zu sein, und Jordi ist nicht länger ein Teil meiner selbst.
    »Es tut mir leid, vielleicht hätten wir dich anders erziehen sollen«, sagte sie seufzend. Sie sah zu Doktor Schiwago hinüber, der ihr mit einem gleichgültigen Gähnen antwortete. Und da spürte sie den Stich, schmerzhafter als sonst.
    »Ich lasse nicht zu, meinen Sohn auf so beschämende Weise zu verlieren«, versuchte Jordi es noch einmal.
    Merkst du denn nicht, daß wir ihn schon vor langer Zeit verloren haben?
    »Habe ich eure Zustimmung?«
    »Ja.«
    »Meine nicht.«
    »Es tut mir sehr leid, Vater, aber ich werde gehen, auch ohne deine Zustimmung.«
    »Wissen viele Leute davon?«
    »Machst du dir etwa Sorgen, was die Leute sagen werden?« fragte sie aufgebracht.
    »Natürlich mache ich mir Sorgen darum!« Er zeigte wütend auf Arnau: »Ich will mich nicht für dich schämen müssen vor … Lassen wir das: Du bist ein freier Mensch. Jahrelang habe ich für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft, und mein eigener Sohn …«
    Wann hast du schon gekämpft, Idiot, dachte Tina. Die Menschen in den Heften von Oriol Fontelles, die haben gekämpft, aber du und ich …
    Jordi rieb sich nervös die Hände; er gab sich geschlagen.
    »Und diese dämlichen Mönche haben es nicht mal für nötig befunden, uns mitzuteilen, daß …«
    »Ich habe sie gebeten, sich rauszuhalten. Ich bin

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