Die Stimmen des Flusses
wohl.«
»Du hast doch gesagt, du kommst jedes Wochenende her.«
»Die Leute hier stinken nach Kühen.«
»Das mußt du grade sagen. Du bist doch auch von hier.«
»Ich bin in Barcelona geboren.« Er faßte an das Grübchen an ihrem linken Bein. Wie hübsch. »Ich komme nur her, um Ski zu fahren und meine Mutter zu sehen. Und um in die Berge zu gehen.«
Diese Behauptung Marcel Vilabrús war nicht ganz richtig. Es stimmte, daß er sich mit den Leuten aus dem Dorf nicht abgab, ausgenommen mit Xavi Burés, der an der Fachhochschule Landwirtschaft studierte. Es stimmte, daß er so oft wie möglich nach Torena zurückkehrte und zur Piste von Tuca Negra ging. Dort lief er dann Stunden um Stunden,um seine überschüssige Energie loszuwerden, allein oder mit Quique, wenn der gerade keinen Kurs gab. Mit Quique gab er sich also auch ab, und vor zwei Jahren hatte er mit ihm seinen Studienbeginn mit einer freien Abfahrt gefeiert. Heimlich waren sie vom Montorroio abgefahren, hatten sich unbekannte Hänge hinuntergewagt, und er hatte gedacht, hier können wir uns alle Knochen brechen, und wollte wagemutiger sein als Quique, der ihn herauszufordern schien. Und als sie, noch ganz aufgeregt von ihrem Abenteuer, im Club angekommen waren, war es schon dunkel. Sie froren, aber waren durchgeschwitzt, und so stellten sie sich unter die warme Dusche und blieben dort so lange, bis Quique anfing, an Marcels Schwanz herumzuspielen – der ist ja winzig wie eine Erbse –, und so alberten sie unter dem Wasserstrahl herum, bis ihre Schwänze nicht mehr winzig waren und Quique ihm einen blies, und das alles war so seltsam, daß er zwei endlos scheinende Wochenenden nicht hochfuhr und sich dachte, ob ich jetzt wohl schwul bin, es hat mir doch gefallen, und verzweifelt war, weil er nicht schwul sein wollte. Damals nahm er sich vor, sich an alle Frauen heranzumachen, die er bekommen konnte, um sich selbst zu beweisen, daß er keineswegs schwul war, und so kam er zu seinem Ruf unter den Mädchen an der Uni. Das Seltsamste ist, daß es mir auch gefallen hat, es ihm zu besorgen, und daß Quique gestöhnt hat, als ich … Was soll’s. Sie sprachen nie wieder darüber, aber seit dieser Zeit vermied es Marcel sicherheitshalber, die Duschen der Skilehrer zu benutzen.
Er streichelte weiterhin Lisa Monells’ rechtes Knie, und um das Bild des stöhnenden Quique unter der Dusche zu vertreiben, zog er ihr rasch und mit ihrer Hilfe das Unterhemd über den Kopf, und sie zog ihm sein Unterhemd aus. Dann versuchte er nervös, ihr den Büstenhalter aufzuhaken. Er hatte es eilig. Lisa Monells dachte, sieh mal an, der große Skifahrer, der begehrteste Student im dritten Jahr, auch wenn er noch Zivilrecht vom ersten und Strafrecht vom zweiten nachzuholen hatte, auch wenn er sich von denpolitisch interessierten Kommilitonen fernhielt, die dabei waren, einen Studentenausschuß ins Leben zu rufen, wenn er sie mit leichtem Spott betrachtete, als wolle er sagen, Leute, das lohnt sich nicht und ich mache da nicht mit, ich will keine Scherereien, denn Skifahren und Politik vertragen sich nun mal nicht; ein beliebter Kommilitone, weil er großzügig war und einen zum Milchkaffee oder zu einem Whisky einladen konnte, ohne zweimal darüber nachzudenken; es hieß, er sei steinreich und ein guter Liebhaber. Er sah gut aus und hatte wunderschöne Hände und Augen zum Verlieben, und nun wußten diese wunderschönen Hände nicht, wie man einen BH aufhakt, und so würden sie noch ewig rumsitzen. Lisa schob seine Hand beiseite, öffnete selbst mit einer einzigen, raschen Bewegung ihren BH und offenbarte ihre beiden Schmuckstücke, die sie Marcel Vilabrú schon die ganze Zeit hatte zeigen wollen. Mal sehen, ob ihm die Augen übergehen würden, und überhaupt überlief es sie heiß und kalt, wenn er sie anschaute. Außerdem sah es ganz so aus, als würde sie die Wette mit Montse Bayo gewinnen. Da klingelte das Telefon.
»Ja, Mamà.«
Marcel fluchte, daß es im ganzen Haus nur einen einzigen Apparat gab, wie in der Steinzeit. Er ging ans Telefon, in Unterhosen und mit erigiertem Glied, und Lisa, die nur noch ihre Spitzenhöschen trug, hörte, wie er sagte, ja, Mamà, ja, Mamà. Und sie hörte auch, wie er sagte, natürlich bin ich allein, ich wollte gerade zu Bett gehen, ich will doch morgen die ganze Tuca Negra machen. Ja, mit Pere Sans und Quique, ja, und Lisa stand auf und zog eine Nummer ab; langsam streifte sie den Slip ab und mußte sich dabei das Lachen verkneifen, und
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