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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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gut, Jaumet, du bist ein helles Bürschchen. Vergiß nicht: Ich werde die Zeichnung aufheben, aber versteckt. Ich verlaß mich auf dich, Jaumet, wenn es soweit ist, machen wir einen richtigen Grabstein für Ventureta. Weißt du was? Wir machen noch ein Bild von Manel Lluís drauf.«
    »Welches?«
    »Ich weiß nicht, etwas wie … Sieh mal, das da.«

    »Das ist eine Ringeltaube.«
    »Nein, eine Friedenstaube. Ein Symbol. Oh, mein Gott.«
    »Wein nicht,Vater, sonst muß ich auch weinen.«

Dritter Teil
Sterne wie Spitzen

Kreidestaub,
der verweht, wenn Gott darüberwischt.
Jordi Pàmias
    Die beiden Türflügel werden aufgestoßen. Eine Gruppe von fünf ernst dreinblickenden, absonderlich gekleideten Männern betritt den Santa-Clara-Saal. Der mittlere von ihnen, dessen Botschafterschärpe breiter ist als die der anderen, geht auf die Dame in Schwarz zu. Rechtsanwalt Gasull beugt sich zu ihr hinab und flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie hebt selbstbewußt ihre dürre Hand, und der Botschafter küßt sie. Rechtsanwalt Gasull steht nervös daneben und weiß nicht so recht, was er tun soll. Der Botschafter tritt auf ihn zu und überlegt, ob das wohl ein direkter Angehöriger der alten Dame ist. Sie grüßen einander unverbindlich. Die Dame in Schwarz spürt zu ihrem Mißfallen die Blitze einiger Fotografen, die den Augenblick festhalten. Einer der Assistenten sagt, der Herr Bischof sei schon da und sie würden ihn sicher hinterher beim offiziellen Empfang treffen. Der Botschafter läßt sich über die Freude und den Stolz aus, die alle erfaßt haben, während ihm ein Assistent ein Glas Fruchtsaft in die Hand drückt. Die Dame in Schwarz nickt zustimmend, kann sich aber kein Lächeln abringen. Sie hat es eilig. Es soll endlich etwas geschehen, alles sollte erledigt sein, bevor sie stirbt. Ihr Enkel beäugt die Szenerie vom Balkonfenster aus. Als er sieht, daß der Botschafter einen der Assistenten um eine Zigarette bittet, holt er selbst beruhigt eine hervor.
    Währenddessen unterhält sich Marcel Vilabrú mit einem Botschaftsangestellten darüber, daß mit dem Vatikan in Sachen Wintersport einfach keine Geschäfte zu machen sind. Er ist sehr aufmerksam und freundlich, denn wer weiß, ob der Mann nicht irgendwann mal in ein Land entsandt wird,wo es nicht nur kalt ist, sondern auch Schnee und Berge gibt.
    Der Botschafter fragt die alte Dame, wie sie mit dem Ermordeten verwandt sei, und sie antwortet, genaugenommen seien sie gar nicht verwandt. Aber sie seien immer diejenigen gewesen, die ihm am nächsten gestanden hätten, die einzige Familie, die er hatte. »Ja, natürlich«, sagt der Botschafter. »Man weiß ja, was im Krieg so alles passiert und wie viele Familien auseinandergerissen werden«, kommt Gasull der alten Dame zu Hilfe. »Ja, natürlich«, wiederholt der Botschafter und sieht den Verwandten (oder so) an, den einzigen, der ihm in die Augen sehen kann, wie beklemmend.
    Ein Mann mit kurzem weißem, rebellischem Haar hat nach ein paar knappen Worten mit dem Führer die Russen, die sich als Polen entpuppt haben, auf demselben Weg mitgenommen, auf dem sie gekommen sind. Einige der Polen drehen sich noch einmal ein wenig ängstlich nach der Gruppe von Hochwürden Rella um.
    Ein junger Mann führt die Übriggebliebenen, nachdem sie sich zusammengefunden haben, den Korridor entlang. Es geht nur langsam voran. Die Krampfadern machen vielen zu schaffen, und der Korridor will nicht enden. Von Zeit zu Zeit kommen sie an dunklen, schlecht beleuchteten und wahrscheinlich nicht besonders wertvollen Bildern vorüber, die niemand beachtet.
    »Anastomotisch bedingte Krampfadern sind aneurysmatisch.«
    »Ist mir egal, wie sie heißen, aber sie bringen mich um.«
    Nach einem seltsamen Zickzackweg gelangen sie am Ende eines neuen Korridors in einen Raum, der zwar hell ist, aber nur wenige Stühle hat, und diese sind schon von den Polen besetzt, die offensichtlich zuvor auf Schleichpfaden hierhergelangt sind. In der Mitte des Raumes stehen auf ein paar rustikalen Holztischen mittelalterlichen Ausmaßes Antipasti für die Gäste.
    Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich wünscht, dieser glorreiche Tag möge das ganze Leben dauern. Schon seit längerem sind die Häppchen und die Gesprächsfetzen ausgegangen, und als sie sich nichts mehr zu sagen haben, öffnet zu ihrer Erleichterung ein Bediensteter die Tür (im Vatikan werden die Flügeltüren besonders feierlich aufgestoßen) und sagt ihnen, wenn sie die Freundlichkeit hätten, ihm

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