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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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verließ Torena am Tag vor Weihnachten, dem Tag, an dem Ventureta zu Grabe getragen wurde, als alle bei der Arbeit waren und Oriol in Sort an einer Konferenz aller Lehrer der umliegenden Täler teilnahm, einberufen vom Abgeordneten der Falange Española, der sie überreden wollte, der Falange beizutreten, und zwar geschlossen, Kameraden. Rosa ging wie ein Flüchtling, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Sie wußte, daß sie außer ihrem Korb und ihrem vollen Koffer alle Illusionen mitnahm, all ihre Vorstellungen davon, wie schön es hätte sein können. Sie tat es, weil sie eine starke Frau war und nicht wollte, daß ihr Kind neben einem Faschisten aufwuchs. All ihre Hoffnung trug sie in ihrem Bauch.
    Tina bewahrte diesen Brief in den Heften auf wie einen Schatz, als Beweis dafür, wie sehr das Unglück einem Menschen zusetzen kann. Und dabei trug Rosa ihre Hoffnung noch in sich, nicht wie ich, die ich sie an ein zugiges Kloster verloren habe.

21
    Willst du, Don Santiago Vilabrú Cabestany (von den Vilabrú- Comelles und Cabestany Roures), in der geschichtsträchtigen, überladenen Kirche von Santa María vor dem Bildnis von Nuestra Señora del Coro und in Anwesenheit einer kleinen, aber feinen Auswahl hochrangiger und begüterter Persönlichkeiten (des Generalkapitäns des ersten Wehrbezirks, der dieser Tage in San Sebastián weilt, dreier ehemaliger Obersten, Waffenbrüder des unglückseligen Hauptmanns Anselm Vilabrú, und etwa zwanzig weiterer Gäste, die in Barcelona und Madrid das Sagen haben und vor allem haben werden), Señorita Elisenda Vilabrú zu deiner Frau nehmen, sie lieben und ehren, in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit?
    »Ja, Pater.«
    Und du, Elisenda Vilabrú Ramis (von den Vilabrús aus Torena und den Ramis von Pilar Ramis aus Tírvia, dem Flittchen, besser, wir reden nicht davon aus Rücksicht auf den armen Anselm), die du wunderschön bist – wenn ich nicht Militärpfarrer wäre, würde ich mich hier und jetzt über dich hermachen –, die du mit deinen zweiundzwanzig Jahren die Fäden ziehst unter den Flüchtlingen in San Sebastián, die es kaum erwarten können, daß Katalonien in die Hände der franquistischen Truppen fällt, um all das wiederzuerlangen, was ihnen während der Zeit des Niedergangs unter den Roten gewaltsam entrissen wurde, und die du keine Zeit verloren, sondern dir einen unanständig reichen Mann gesucht hast, und dabei heißt es, von deiner Seite her seiest du auch nicht gerade unvermögend – übrigens weiß ich gar nicht genau, was mit deiner Mutter, Pilar Ramis, eigentlich los ist, aber jeder redet darüber –, nimmst du Don Santiago VilabrúCabestany (von den Vilabrú Comelles und den Cabestany Roures) zum Mann und ewigen Versorger, in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, in Ehebruch und ehelicher Langeweile? Ich bin weiß Gott nicht schwul, aber ich hätte nichts dagegen, diesen Santiago nur wegen seines Geldes zu heiraten, auch wenn er mich einmal im Monat rannehmen würde.
    »Sprich, meine Tochter.«
    In einer Bank in der zwanzigsten Reihe saß Bibiana, die die Gabe hatte, zu wissen, wie die Geschichten endeten, betrachtete besorgt Senyor Santiagos und Elisendas Nacken und sagte: »Nein, Kind, sag ›nein‹ und lauf weg.«
    »Ja, Pater.«
    »Hiermit erkläre ich euch vor Gott zu Mann und Frau. Und was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden, allein der Tod. Viva Franco. Arriba España. San Sebastián, am 28. Februar 1938, im dritten Jahr des Sieges. Hier unten müssen Sie unterschreiben. Alle beide, ja. Und die Trauzeugen ebenfalls. Ganz ruhig, es ist genug Platz für alle. Ein Applaus für die Brautleute. Ja, so, schön laut. Es lebe Franco. Und es lebe das spanische Heer.«
    Es war eine genau durchdachte Entscheidung gewesen. Der gute Onkel August hatte angedeutet, sie sei dazu bestimmt, vermögende junge Männer aus ganz Europa kennenzulernen, aber sie hatte sich damit abgefunden, daß der Krieg alles zunichte machte, sogar die Träume, und entschied sich für Santiago; er war nur zwei Jahre älter als sie, ein netter Junge, sehr wohlerzogen, auch wenn er in dem Ruf stand, ein Windhund zu sein, und hoffnungslos in sie verliebt. Überdies zeichnete er sich dadurch aus, daß er Vilabrú hieß. Und vor allem erinnerte er sie an ihren Bruder Josep, wie sie ihn von jenem Abend in Erinnerung hatte, als er in Casa Gravat gesagt hatte, wenn alles schiefgeht, wechseln wir auf die andere Seite, wir gehen

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