Die Stimmen von Marrakesch
In einem besonders hochgelegenen Gelaß kauerte ein Mann, der Züge und Farbe eines Negers hatte. Er trug das Käppchen der Juden und verkaufte Kohlen. Sie waren hoch um ihn aufgeschichtet, er sah aus, als sollte er in Kohlen eingemauert werden und warte nur auf die Handwerker, die diesen Auftrag auszuführen kämen. Er verhielt sich so still, daß ich ihn anfangs übersah, und er fiel mir nur durch seine Augen auf, die mitten in all diesen Kohlen glänzten. Neben ihm verkaufte ein Einäugiger Gemüse. Das Auge, mit dem er nicht sah, war ungeheuer geschwollen und wirkte wie eine Drohung. Er selber hantierte verlegen mit seinem Gemüse. Er schob es vorsichtig auf eine Seite hinüber und schob es dann vorsichtig wieder zurück. Ein anderer kauerte neben fünf oder sechs Steinen am Boden. Er nahm jeden einzeln in die Hand, wog ihn, betrachtete ihn und hielt ihn dann noch ein wenig in die Höhe. Er legte ihn zu den anderen zurück und wiederholte mit diesen dasselbe Spiel. Er blickte nicht
einmal
zu mir auf, obwohl ich dicht vor ihm stehengeblieben war. Er war der einzige Mensch im ganzen Viertel, der mich keines Blickes würdigte. Die Steine, die er verkaufen wollte, ließen ihm keine Ruhe und er schien an ihnen mehr interessiert als an Käufern.
Ich spürte, wie alles ärmer wurde, je tiefer ich in die Mellah eindrang. Die schönen Stoffe und Seiden lagen hinter mir. Niemand sah reich und fürstlich aus wie Abraham. Der Bazar gleich beim Eingangstor war eine Art Luxusviertel gewesen, das eigentliche Leben, das Leben des einfachen Volkes spielte sich hier ab. Ich befand mich jetzt auf einem kleinen, rechteckigen Platz, der mir als das Herz der Mellah erschien. An einem länglichen Brunnen standen Männer und Frauen durcheinander. Die Frauen trugen Krüge, in die sie Wasser füllten. Die Männer füllten ihre ledernen Wasserbehälter. Ihre Esel standen neben ihnen und warteten darauf, getränkt zu werden. In der Mitte des Platzes hockten einige Garköche. Manche brieten Fleisch, andere kleine Krapfen; sie hatten ihre Familie bei sich, die Frauen und Kinder. Es war, als hätten sie ihren Haushalt auf den Platz verlegt und wohnten und kochten hier.
Bauern in Berbertracht standen umher, mit lebenden Hühnern in der Hand; sie hielten sie an den Beinen, die zusammengebunden waren, ihr Kopf hing nach unten. Wenn Frauen sich näherten, streckten sie ihnen die Hühner zum Abgreifen hin. Die Frau nahm das Tier in die Hand, ohne daß der Berber es freigab, ohne daß er seine Stellung änderte. Sie drückte es, zwickte es, sie griff genau dorthin, wo es Fleisch haben sollte. Niemand sprach während dieser Prüfung ein Wort, weder der Berber noch die Frau, auch das Tier blieb stumm. Dann ließ sie es in seiner Hand, wo es weiterhing, und ging zum nächsten Bauern. Nie kaufte eine Frau ein Huhn, ohne erst viele andere umständlich geprüft zu haben.
Rings um den ganzen Platz waren Läden; in manchen arbeiteten Handwerker, ihr Hämmern und Klopfen tönte in den Lärm der Sprechenden. An einer Ecke des Platzes waren viele Männer versammelt und diskutierten feurig. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber nach ihren Mienen zu schließen, ging es um die großen Angelegenheiten der Welt. Sie waren verschiedener Meinung und fochten mit Argumenten; mir kam vor, sie gingen mit Genuß auf die Argumente der anderen ein.
In der Mitte des Platzes stand ein alter Bettler, der erste, den ich hier sah, er war kein Jude. Mit der Münze, die er bekam, wandte er sich sofort einem der kleinen Krapfen zu, die heftig in der Pfanne brutzelten. Es waren mancherlei Kunden um den Koch und der alte Bettler mußte warten, bis er an die Reihe kam. Aber er blieb geduldig, selbst so nahe vor der Erfüllung seines dringlichen Wunsches. Als er den Krapfen schließlich bekommen hatte, stellte er sich damit wieder in die Mitte und aß ihn mit weit offenem Munde auf. Sein Appetit verbreitete sich wie eine Wolke von Behagen über den Platz. Niemand achtete auf ihn, doch jeder sog den Duft seines Behagens mit ein und er schien mir für das Leben und Wohlergehen des Platzes sehr wichtig, sein essendes Denkmal.
Aber ich glaube nicht, daß er allein es war, dem ich die glückliche Verzauberung auf diesem Platze verdankte. Mir war zumute, als wäre ich nun wirklich woanders, am Ziel meiner Reise angelangt. Ich mochte nicht mehr weg von hier, vor Hunderten von Jahren war ich hier gewesen, aber ich hatte es vergessen und nun kam mir alles wieder. Ich fand jene Dichte
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