Die Strafe des Seth
Amunhotep sank auf das Bett zurück und stützte den Kopf in die Hände, der wieder stärker zu schmerzen begonnen hatte.
»Sie wollte nicht, dass du heute Morgen erwachst.«
»Das begreife ich nicht. Wo ist sie eigentlich?«
»Sie ist fort, Amunhotep.« Netnebu trat auf Amunhotep zu und ging vor ihm in die Hocke. »Sie hat heute Morgen, noch bevor Re über den Horizont gefahren ist, den Tempel verlassen und ist auf einer Barke abgereist.«
Amunhotep verstand überhaupt nichts. »Wieso ist sie abgereist, wohin ist sie gefahren?«
»Wohin, das weiß ich nicht, aber wieso, das wirst du dir denken können. Osiris Ramses wurde in sein Westliches Haus gebracht, und nun ist es sicher verschlossen. Ihre Aufgabe ist hier auf Erden erfüllt. Der Große Gott Osiris hat sie wieder zu sich gerufen, und sie gehorcht ihm, auch wenn es ihr sehr schwer gefallen ist.« Netnebu legte Amunhotep die Hände auf die Schultern und fühlte, wie diese bebten. »Ich traf Meritusir, bevor sie ging. Sie bat mich, das Ritual zu leiten. Zugegeben, ich war überrascht, doch erst als sie gegangen war, wurde mir klar, dass es ein Abschied für immer war.« Amunhotep hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, und Netnebu sah, dass er weinte. Leise fügte er hinzu: »Ich denke, auch wenn ihr beide nicht genau gewusst habt, ob es so kommen wird oder nicht, so habt ihr es über all die Jahre geahnt. Es tut mir so leid.«
Betreten senkte er den Blick und erhob sich wieder, um seinen Freund allein zu lassen. Dabei fiel sein Blick auf die versiegelte Schriftrolle, die auf dem Tischchen lag. Er griff nach ihr und reichte sie Amunhotep.
»Sieh. Meritusir hat dir anscheinend ein paar Zeilen zum Abschied geschrieben.«
Da sein Freund keine Anstalten machte, die Rolle zu nehmen, legte er sie behutsam neben ihn auf das Bett und zog sich leise zurück.
Nachdem Netnebu gegangen war, nahm Amunhotep den Papyrus in die Hand und entrollte ihn.
Mein geliebter Amunhotep,
wenn du diese Zeilen lesen wirst, bin ich schon weit von der heiligen Stadt des Großen Gottes Osiris entfernt. Ich muss zurück in die Welt, aus der ich gekommen bin. Bitte verzeih, dass ich es dir nicht gesagt habe. Aber nachdem du mir gestern mitgeteilt hattest, dass der Pharao schon bald nach Abydos kommen wird, befahl mir die Stimme in meinem Inneren, unverzüglich an den Ort zurückzukehren, wo ich vor neun Jahren in deiner Zeit angekommen bin.
Ich konnte es dir nicht sagen, und ich wollte auch nicht, dass du mich begleitest. Zu schwer fällt mir die Trennung von dir und unserem Sohn, die endgültig sein wird. Auch wenn uns noch eine gemeinsame Zeit der Zweisamkeit während unserer Reise auf dem Nil beschieden wäre, so könnte ich es dennoch nicht ertragen, dich Tag und Nacht zu sehen und zu berühren und bei jeder Berührung zu wissen, dass das bald vorbei sein wird. Ich habe den Abschied kurz und schnell gemacht. Trotzdem war er so schmerzhaft, dass diese Wunde in meinem Herzen niemals verheilen wird.
Ich flehe dich an, folge mir nicht!
Du musst in Abydos sein, wenn Ramses-Sethherchepeschef in ein paar Tagen erscheint. Sage ihm, ich hätte eine wichtige Reise antreten müssen, aber teile ihm nicht mit, wohin ich gefahren bin.
Und bitte vergib mir, mein geliebter Gemahl.
Ich liebe dich so sehr, dass Worte nicht ausdrücken können, wie schmerzhaft die Trennung für mich ist. Kümmere dich gut um Usirhotep und sage ihm, dass seine Mutter ihn immer lieben wird.
Wir werden uns im Reich des Großen Gottes Osiris wiedersehen. Für dich wird es eine endlos lange Zeit von Jahrhunderten, Jahrtausenden werden; doch glaube mir, Amunhotep, auch für mich wird jeder Tag wie ein Jahr und jedes Jahr wie ein Jahrhundert sein.
Die Götter mögen dich, Usirhotep und deinen Vater beschützen.
In ewiger Liebe, Meritusir
Nachdem Amunhotep diese Zeilen gelesen hatte, vergrub er sich in seinem Laken und war den Rest des Tages für niemanden zu sprechen. Er aß nichts, und selbst seinen Sohn, der mehrmals bei ihm anfragen ließ, wollte er nicht sehen.
Seine geliebte Frau war von ihm gegangen, und er wusste, dass weder er noch sie daran etwas ändern konnten.
Irgendwann fasste Amunhotep dann einen Entschluss.
Er rief nach Hekaib, dem er befahl, sofort eine Barke reisefertig zu machen und den Dritten Propheten zu ihm zu schicken. Meritusir hatte ihn zwar in ihrem Abschiedsbrief gebeten, ihr nicht zu folgen, doch durch ihren Hinweis, wohin sie segeln würde, hatte sie ihm zu
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