Die Strafe des Seth
sahen, und Meritusir nickte ihnen freundlich zu.
Als sie Netnebu bemerkte, der ziemlich verschlafen durch den Park dem Heiligen Becken zustrebte, blieb sie stehen und wartete, bis er sie erreicht hatte.
»Wo ist Amunhotep?«, fragte er und unterdrückte ein Gähnen.
»Er schläft noch. Ich habe ihn nicht geweckt. Er soll sich einen Tag lang ausruhen. Das hat er dringend nötig.« Meritusir hielt den Blick leicht gesenkt, damit Netnebu ihre vom Weinen geröteten Augen nicht sehen konnte. »Du wirst heute die heiligen Riten zelebrieren, denn auch ich habe dafür keine Zeit.«
Überrascht sah Netnebu sie an. »Was hast du denn vor?«
»Ich muss dringend verreisen«, lautete Meritusirs knappe Antwort.
Misstrauisch musterte der Dritte Prophet sie. »Davon hast du gestern Abend nichts gesagt.«
»Das stimmt, Netnebu«, versuchte sich Meritusir glimpflich aus der Affäre zu ziehen. »Ich hatte sogar vergessen, Hekaib darüber in Kenntnis zu setzen, sodass dieser heute Morgen aus allen Wolken fiel, als ich ihm befahl, die Barke bereitzuhalten.« Sie hob kurz den Blick und lächelte Netnebu entschuldigend an. »Also erwecke du den Gott in seinem goldenen Schrein. Ich muss gehen.«
Sie sah ihm in die Augen und bemerkte seinen verwunderten Blick, als er wohl ihre Tränen bemerkte. Kurz entschlossen umarmte sie ihn. Dann drehte sie sich ruckartig um und lief zu der kleinen Pforte, die den Wohn- und Arbeitsbereich der Priesterschaft vom Vorhof trennte.
In der Zwischenzeit hatten sich fast alle Gottesdiener am Heiligen Becken versammelt. Neugierig sahen sie zu ihrer Zweiten Prophetin, die an ihnen vorbeieilte und der Pforte zustrebte, die in den heiligen Bereich führte.
Netnebu war genauso überrascht wie sie, doch allmählich wurde ihm bewusst, dass sich Meritusir soeben für immer von ihm verabschiedet hatte.
Er wollte ihr hinterherstürzen, doch seine Beine verweigerten ihm den Dienst. Stumm wischte er sich die aufkommenden Tränen aus den Augen, damit niemand sie sehen konnte. Dann trat er wehmütig zu den anderen und erledigte die rituellen Waschungen, um den Zug der Priester in das Innere des Tempels anzuführen. Als sie schließlich auf den Vorhof traten, schloss sich gerade das große Tor, dass das Heiligtum von der Außenwelt trennte.
Meritusir hatte sich ein letztes Mal vor der großen Statue des Gottes verneigt, war vor ihm auf die Knie gefallen und hatte die Stirn auf den kühlen, glatten Granit gelegt, um dem Gott zu danken und ihm Lebewohl zu sagen.
Nun eilte sie den gepflasterten Weg hinunter zum Fluss, wo ihre Barke bereits auf sie wartete. Sie sah nicht zurück und verkroch sich sofort in ihrer Kabine, um mit sich und ihrem Schmerz allein zu sein.
* * *
Als Amunhotep kurz nach dem Mittag erwachte, hatte er rasende Kopfschmerzen. Er blinzelte durch die halb geöffneten Lider und schloss sie sofort wieder, denn die Helligkeit im Zimmer war unerträglich und ließ seine Kopfschmerzen stärker werden.
Seine Hand glitt neben sich, doch der Platz neben ihm war leer.
Mühsam versuchte er, sich aufzurichten, und hielt sich den schmerzenden Schädel. Er konnte sich überhaupt nicht entsinnen, am gestrigen Abend so viel getrunken zu haben. Und warum hatte man ihn nicht geweckt?
Vorsichtig stand er auf und taumelte zum Badehaus, um seine Blase zu entleeren und den Kopf mit kaltem Wasser wieder klar zu bekommen.
Als er wieder einigermaßen zusammenhängend denken konnte und etwas Mohn gegen seine Kopfschmerzen eingenommen hatte, rief er nach Hekaib.
»Wieso hast du mich nicht geweckt? Und wo ist meine Frau?«, fuhr Amunhotep ihn unwirsch an. »Ist sie schon wach?«
Mit hängendem Kopf stand Hekaib in der Tür und wagte nicht, seinem Gebieter in die Augen zu sehen.
»Was ist los, Hekaib, willst du mir keine Antwort geben?«
»Die Herrin befahl mir, dich nicht zu wecken«, erwiderte Hekaib kleinlaut und scharrte verlegen mit den Zehen in seinen Sandalen. »Sie sagte, du solltest dich richtig ausschlafen.«
»Und warum fühle ich mich dann so elend, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen?«
»Weil du mit Schlafmohn versetzten Wein getrunken hast«, ertönte Netnebus Stimme, der sich an Hekaib vorbei in das Schlafgemach drängte.
Ungläubig sah Amunhotep ihn an. »Ich habe mit Schlafmohn versetzten Wein getrunken?«
»Ja, mein Freund.« Der Dritte Prophet gab Hekaib ein Zeichen, seinen Herrn und ihn allein zu lassen. »Meritusir hat ihn dir gegeben.«
»Meritusir? – Aber warum?«
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