Die Strafe des Seth
hatte sie schon am Abend zuvor informiert und ihm eingeschärft, keinem ein Wort über ihre Reiseabsichten zu sagen.
Verschlafen stierte Amunhoteps Haushofmeister sie an und schien nicht so recht zu begreifen, was sie von ihm wollte. Als sein Geist endlich wach war, fragte er verwirrt: »Gedenkst du eine Reise zu unternehmen, Herrin?«
»Ja. Mein Gemahl ist darüber informiert«, log sie, »doch sowohl er als auch ich haben vergessen, es dir mitzuteilen. Spute dich, damit alles bereit ist, wenn Re über den Horizont fährt, und sei leise. Der Hohepriester schläft noch tief und fest. Ich möchte nicht, dass er geweckt wird. Er hat in der letzten Zeit zu viel gearbeitet, und der gestrige Abend war lang. Amunhotep soll sich einmal richtig ausschlafen. Osiris wird auf ihn einen Tag verzichten müssen.« Sie sah Hekaib fest in die Augen, der sie seinerseits verwundert musterte.
»Ich werde tun, was du befiehlst, Herrin. Wer wird dich begleiten, was wirst du an Gepäck mitnehmen?«, erkundigte er sich dienstbeflissen.
Meritusir winkte ab. »Ich werde nicht viel brauchen. Meine Truhe steht in meinem Gemach bereit. Lass sie auf die Barke bringen. Maiherperi und drei seiner Soldaten werden mich begleiten. Da, wo ich hinfahre, brauche ich nicht mehr Diener.«
Der Haushofmeister schluckte und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er schien zu spüren, dass etwas geschehen war, etwas Endgültiges, doch er verneigte sich gehorsam und kam Meritusirs Befehlen wortlos nach.
Meritusir hingegen schlenderte gemächlich durch die schwach beleuchteten Räume und Gänge ihres Hauses und betrachtete wehmütig all die Dinge, die sie in den Jahren ihres Hierseins lieb gewonnen hatte. Nun war der Zeitpunkt gekommen, das alles hinter sich zu lassen. So richtig konnte sie es noch immer nicht begreifen. Ihr Herz und ihr Verstand weigerten sich, die volle Tragweite zu erfassen. Still hoffte sie, dass die Götter Mitleid mit ihr haben würden und ihr erlaubten, bei ihrer Familie zu bleiben. Doch im tiefsten Winkel ihres Herzens war ihr bewusst, dass das nicht ging. Sie hatte ihre Aufgabe hier erfüllt. Es gab keinen Grund für sie, zu bleiben.
»Und ob es einen Grund gib«, begehrte sie leise murmelnd auf, während sie den Weg einschlug, der sie zum Schlafgemach ihres Sohnes führte.
Der Knabe lag friedlich in seinem Bettchen und schlief.
Behutsam nahm sie den Jungen in den Arm und drückte ihn, von unsagbarem Schmerz erfüllt, an ihre Brust. Warum nur verlangten die Götter das von ihr? Usirhotep war fast fünf Jahre alt. Im nächsten Jahr sollte er die Schule besuchen. Wenn Osiris Ramses noch am Leben gewesen wäre oder Hori den Thron bestiegen hätte, hätte ihn Amunhotep nach Per-Ramses in die Palastschule geschickt, doch nun hatte er beschlossen, seinen Sohn in Abydos und Theben unterrichten zu lassen.
Sie überhäufte sein kleines Gesicht mit liebevollen Küssen, und die Tränen rannen ihr dabei über die Wangen.
Plötzlich wurde Usirhotep wach und blinzelte seine Mutter verschlafen an. Er gähnte, schlang die Ärmchen um ihren Hals und schlief sofort wieder ein.
»Schlafe, mein kleiner Sohn. Sei ein lieber und gehorsamer Knabe und reife zu einem klugen und starken Mann. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt. Die Götter werden dich beschützen.«
Sie strich ihm über den kahl rasierten Kopf, liebkoste mit den Fingern seine Jugendlocke und legte ihn wieder in sein Bett.
Dann riss sie den Blick von ihm los und eilte weinend aus dem Raum.
Sie begab sich zum letzten Mal ins Badehaus, um sich das warme, parfümierte Wasser über den Körper rinnen zu lassen und anschließend gesalbt und massiert zu werden. Dann kehrte sie in ihr gemeinsames Schlafgemach zurück, zog sich an und gab Amunhotep einen Abschiedskuss.
Bevor sie endgültig ging, holte sie aus einer der Truhen eine versiegelte Schriftrolle, die sie gut sichtbar auf den kleinen Tisch neben dem Bett legte. Sie hatte sie geschrieben, nachdem ihr Amunhotep am Nachmittag mitgeteilt hatte, dass Ramses-Sethherchepeschef in ein paar Tagen Abydos erreichen würde.
Mit einem letzten Blick auf ihren Gemahl verließ sie den Raum und strebte dem Ausgang des Hauses zu.
Der Horizont hatte begonnen, sich glutrot zu verfärben, als Meritusir aus dem Haus trat und den Weg zum Heiligen Becken einschlug. Ein paar Priester hatten sich bereits eingefunden, um sich für das erste Ritual des Tages zu reinigen. Sie grüßten und verneigten sich, als sie die Zweite Prophetin
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