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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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Seelenklempnerin.«
    Sie breitete die Hände aus und zuckte die Achseln.
    Zischend stieß er die Luft aus. »Es wird sich einfach auflösen, nicht wahr? Alles, was ich sehe und höre. Diese Unterhaltung. Die Zukunft.« Er schaute durchs Fenster. Ein Sonnenstrahl schnitt silbern über sein Gesicht. »Von jetzt an lebe ich nur noch in der Gegenwart.«
    Jo überlegte kurz. »Ich denke, so kann man es auffassen.«
    »Werde ich mich an wichtige Sachen erinnern? Wer Präsident ist? An einen Asteroiden, der auf die Erde prallt?«

    Er würde sich nicht mal erinnern, falls man ihn zum Präsidenten gewählt hätte. Von nun an war jeder Augenblick für ihn unbekannt, jede Erfahrung neu, jeder Mensch, dem er begegnete, ein Fremder.
    »Was soll ich tun? Wie komme ich damit klar?«
    »Sie müssen sich Strategien ausdenken, um sich zu erinnern, wo Sie sind, wo Sie hinwollen, wo Sie gerade waren. Notizen. Fotos. Ein PDA. Nehmen Sie immer Fotoapparat, Stift und Papier mit.«
    »Ich kann nicht mehr arbeiten, stimmt’s? Oder auch nur allein sein. Ich brauche … einen Babysitter.« Er rieb sich mit der Hand über die Stirn. »Der mir sagt, ob ich mir die Zähne geputzt und den Arsch abgewischt habe.«
    Schnell wie eine Peitsche fuhr er den Arm aus und stürzte den Nachttisch um. Mit einem hässlichen Klirren krachte das Krankenhaustelefon auf den Boden. Jo blieb reglos. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als hätten ihre Ohren auf zehnfache Verstärkung geschaltet. Sie glaubte, den wirbelnden Staub in der Luft und Kanans donnernden Herzschlag zu hören. Bis zur Tür waren es zwei Meter. Sie machte sich bereit zum Sprung, falls er sich gegen sie wandte.
    Schließlich hob sie vorsichtig die Hand. »Ian, Ihre Frau ist nicht zu Hause. Hat Sie …«
    »Woher wissen Sie, dass sie nicht zu Hause ist?«
    Wieder riss er das Telefon heraus und drückte die Schnellwahltaste seiner Nummer. Jo trat auf ihn zu und signalisierte ihm, ihr das Handy zu reichen.
    Es klingelte. Sie zeigte ihm das Anrufregister.
    Seine Miene verdüsterte sich. Nach kurzem Schweigen sagte er: »Ich muss gehen.«

    »Noch nicht. Wir haben es schon mit der Handynummer Ihrer Frau probiert, aber sie bis jetzt nicht erreicht. Können Sie sie in der Arbeit anrufen? Wie steht es mit Verwandten und Freunden?«
    Statt einer Antwort wandte sich Kanan zum Fenster. Seine blassen Augen schimmerten fast weiß. »Ich muss sterben, nicht wahr?«
    Müssen wir das nicht alle? »Wir wissen nicht, ob Ihr Zustand wirklich unheilbar ist.«
    »Bitte verschonen Sie mich, Doc. Selbst wenn ich weiteratme, spielt das doch keine Rolle.« Er presste sich zwei ausgestreckte Finger an die Schläfe, als würde er mit einer Waffe auf sich zielen. »Ich bin erledigt. Fünf Minuten am Stück, an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. So ist es doch.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Sie spielen hier wirklich die Seelenklempnerin. Stehen da und warten drauf, dass ich auspacke. Na schön. Ich war schon öfter bei psychiatrischen Tests, und ich bin nicht verrückt. Also hören Sie mir jetzt mal gut zu. Auch wenn ich noch nicht unter der Erde liege, bin ich dabei, mich aufzulösen. Der Schnitter bringt die Ernte ein, während ich noch rumlaufe.«
    Gewitterlicht zuckte durch das Krankenhauszimmer. Reglos registrierte Jo Kanans Körpersprache. Er wirkte ruhig, aber wie ein Fluss mit Hochwasser, unter dessen glatter Oberfläche sich gefährliche Felsen verbargen. Unter der Gelassenheit gärte es. Sie verdeckte Verwirrung, Furcht und noch etwas anderes. Etwas, das er nicht preisgeben wollte.

    »Ian, erzählen Sie mir, was in Afrika passiert ist.«
    »Das ist unwichtig.«
    »Wissen Sie, was Ihnen fehlt?«
    In seinen Augen blitzte es grell auf. Als würde man mitten ins Herz eines Diamanten blicken. Klar, hart und absolut leblos.
    »Kennen Sie die Ursache Ihres Zustands?«, fügte sie hinzu.
    Sein Schweigen zog sich schier endlos hin. »Ich wurde vergiftet.«
    »Womit?«
    »Geben Sie mir ein Blatt Papier und einen Stift.«
    Sie holte ein Notizbuch aus ihrem Rucksack und warf es ihm zu. »Der Stift steckt in der Spiralbindung. Schreiben Sie.«
    Er folgte ihrer Anweisung.
    »Wie wurden Sie vergiftet? Versehentlich?«
    »Vielleicht.«
    »Vielleicht auch nicht?«
    Er blickte auf. Seine Augen wurden trüb, als wäre der Schmerz durch einen Spalt in ihn eingedrungen. »Vielleicht auch nicht.«
    »Listen Sie alle Leute auf, von denen Sie sich irgendwie vorstellen können, dass sie Ihnen Schaden zufügen wollen.«
    »Nicht

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