Die Strafe - The Memory Collector
oben.
»Heute Morgen mit einem Virgin-Atlantic-Flug angekommen.« Lächelnd zeigte Murdock seine kleinen Zähne. »Wir sind wieder im Geschäft.«
»Bist du sicher?«
Draußen ratterte der Caltrain vorbei. Die nackte Glühbirne an der Garagendecke zitterte. Ken musterte ihn auf merkwürdige Weise.
Murdocks Lächeln verebbte. »Du solltest mir wirklich mehr vertrauen, Ken. Der Deal steigt wie geplant.«
»Wann?«
Murdock verschloss den Schrank. »Nur Geduld.«
»Geduld ist gefährlich. Dieser Kanan ist unberechenbar.«
Murdock drehte sich um und trat dicht vor Meiring. Seine Stimme wurde ganz leise. »Aber wir haben alle Trümpfe in der Hand.«
Ken nickte zögernd.
Murdock machte einen Schritt zurück. »Du musst deinen Horizont erweitern. Hier geht’s nicht um die Entführung eines Lastwagens voller verbotener Elektronikartikel. Wir spielen hier in der obersten Liga. Fusionen und Akquisitionen, kapierst du, Ken?«
Meiring schien noch immer nicht überzeugt.
»Akquisition trifft die Sache auf jeden Fall.« Murdock zückte sein Telefon. »Und für die nächste Phase haben wir ja unser Finanzgenie.«
»Den rufst du jetzt an?«
Murdock lächelte erneut. Sein Zahnfleisch erzeugte ein schmatzendes Geräusch. »Genau. Die Verkaufsabteilung.« Während das Telefon läutete, klopfte er Ken auf den Rücken. »Mach dich fertig. Kanan hat heiße Ware im Gepäck. Genug, um die ganze Welt zu schocken.«
Ken beäugte ihn. »Kann schon sein. Aber erst mal müssen wir sie ihm abknöpfen.«
Zusammen mit Simioni eilte Jo zur Notaufnahme. Unterwegs warf sie einen Blick auf Kanans Pass und Brieftasche. Die Stempel im Pass zeigten, dass er in den letzten vierzehn Tagen nach Jordanien, Israel, Südafrika, Simbabwe und Sambia gereist war. Der Führerschein gab eine Adresse in der Nähe des Golden Gate Park an. Auf einem Firmenausweis stand: IAN KANAN, Chira-Sayf Incorporated, Santa Clara. Bestimmt in Silicon Valley.
Simioni hatte einen Ausdruck von Kanans Kernspintomogramm dabei. Jo wusste, dass es Kanan treffen würde wie ein Hammerschlag.
Als forensische Psychiaterin kam sie zum Glück nie in die Verlegenheit, als Unheilsbotin aufzutreten. Sie analysierte Tote für die Polizei, für das Überbringen schlechter Nachrichten war sie nicht zuständig. Nicht mehr. Nicht mehr seit dem Moment, da sie ihren Schwiegereltern vom Tod ihres Sohnes berichten musste.
Sie klopfte und trat ein. Kanan lief am Fenster auf und ab, das Telefon ans Ohr gepresst. Er trug Straßenkleidung und ähnelte einem eingesperrten Tier.
»Misty, ich bin wieder da. Bin schon unterwegs.«
Simioni schloss die Tür. Kanan drehte sich um und beendete das Gespräch, als er Jo und Simioni entdeckte. Er streckte die Hand aus. »Ian Kanan. Doc, erzählen Sie mir, was los ist. Ich muss nämlich dringend weg.«
Nach kurzem Zögern begriff Simioni, dass sich Kanan nicht an ihn erinnerte. »Rick Simioni. Ich bin der Neurologe, der Sie zur Kernspintomographie geschickt hat.«
Kanan runzelte die Stirn. »Kernspintomographie?«
Jo hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Dr. Beckett. Sie hatten zwei Anfälle und haben eine ernste Kopfverletzung, die sich auf Ihr Gedächtnis auswirkt.«
»Wovon reden Sie? Mein Gedächtnis ist in Ordnung.«
»Erkennen Sie mich wieder?«
Gelassen glitt sein Blick über ihren Körper. Registrierte ihre sportliche Gestalt, ihre dunklen Augen, ihre langen braunen Locken. Schließlich blieb er an dem Krankenhausausweis hängen, der an ihrem Pullover haftete. »Nein, sollte ich?«
»Ich bin Psychiaterin und habe Sie vom Flughafen hierhergebracht. Ich bin schon seit fast zwei Stunden bei Ihnen.«
»Ich kann mich nicht erinn…« Ein Schatten zog über sein Gesicht. In der plötzlichen Stille klatschte Regen gegen das Fenster. »Ich habe Gedächtnisschwund?«
»Ja.«
»Und zwar eine besondere Form«, ergänzte Simioni. »Anterograde Amnesie. Ihre alten Erinnerungen haben Sie nicht verloren. Aber irgendwas hat den Teil Ihres Gehirns beschädigt, der neue Erinnerungen formt.«
»Irgendwas. Was?«
»Das überprüfen wir noch.«
»Sie wissen es nicht?«
»Noch nicht. Wir müssen mehr über Sie erfahren. Erzählen Sie uns, was Sie nach Afrika und den Nahen Osten geführt hat.«
Kanan war der Zweifel ins Gesicht geschrieben. Er blieb einsilbig. »Geschäftsreise.«
»Was machen Sie beruflich, Mr. Kanan?«
»Ian. Ich bin Sicherheitsberater einer Technologiefirma in Santa Clara.«
Jo hatte also richtig geraten. »Was für Tätigkeiten
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